Griechenland: Leben mit der Sparpolitik
Von Karsten Peters
Um die Situation in Griechenland möglichst verständlich zu machen, werden zwei zentrale Vergleichsdaten benutzt. Der eine, der so genannte „Big-Mac-Index“ hat zwar seine Schwächen, aber den großen Vorteil, dass sich Preise für ein klar definiertes Produkt in verschiedenen Ländern leicht vergleichen lassen. Der andere Datensatz ist das mittlere Einkommen oder Medianeinkommen. Angenommen in einem Land leben 101 Personen. Das mittlere Einkommen bekommt derjenige, der genau in der Mitte liegt, allerdings gemessen an der Personenzahl: 50 Einwohner des Landes verdienen mehr als er, 50 Personen verdienen weniger. Für Griechenland lag dieses mittlere Einkommen 2014 bei 7680 Euro im Jahr (2013: 8371 Euro). In Deutschland liegen die Zahlen für 2014 noch nicht vor, 2013 belief sich das mittlere Einkommen auf 19 582 Euro. Monatlich also in Deutschland 1631 Euro (2013), in Griechenland 640 (2014), das deutsche Medianeinkommen ist etwa zweieinhalbmal so hoch wie das griechische.
MehrwertsteuerDie Gläubiger verlangen eine Erhöhung des Aufkommens aus der Mehrwertsteuer von 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Konkret: Die Mehrwertsteuer auf Fertiggerichte, verarbeitete und verpackte Lebensmittel wie zum Beispiel Butter, auf Restaurants, öffentlichen Verkehr und einige andere Produkte ist ab sofort von 13 auf 23 Prozent erhöht.
Ein Burger bei einer großen, zum Teil heftig kritisierten Fast-Food-Kette kostet Anfang Juli in Griechenland 3,05 Euro, in Deutschland kostet er 3,59 Euro. Rechnen wir den höheren Mehrwertsteuersatz dazu, ergibt sich für Griechenland ein neuer Preis von 3,32 Euro. Übertragen auf das mittlere Einkommen in Deutschland (2,5-mal so hoch wie in Griechenland) würde das bedeuten: Ein Burger kostet 8,30 Euro. Vor der Erhöhung wären es immerhin schon 7,62 Euro gewesen.
Ein halbes Pfund Butter liegt mit der Mehrwertsteuererhöhung bei etwa 1,90 Euro, übertragen auf die Kaufkraft in Deutschland 4,75 Euro.
Und selbst bei diesen drastischen Zahlen fehlen noch die Menschen in Griechenland, die unterhalb der Armutsschwelle leben, also weniger als 4600 Euro im Jahr (383 Euro im Monat) zur Verfügung haben, mittlerweile (Stand 2014) sind das 22 Prozent der Bevölkerung, 2,3 Millionen Menschen.
Hintergrund zur Mehrwertsteuer:
Höhere Einnahmen durch die Mehrwertsteuer von 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukt: Gemessen am BIP von 2014 sind das 1,4 Milliarden Euro, pro GriechIn vom Greis bis zum Säugling, 180 Euro. Wobei angesichts der drastischen Armut in Griechenland wahrscheinlich viele, die schon jetzt am Existenzminimum leben, diese zusätzlichen Kosten nicht aufbringen können und einerseits die Tendenz zur Subsistenzwirtschaft sich verstärken wird – wer einen Garten hat, baut Lebensnotwendiges an –, andererseits die Not sich noch weiter verschärfen wird.
Übertragen auf Deutschland würde ein Mehraufkommen von einem Prozent des BIP durch die Mehrwertsteuer 29 Milliarden Euro bedeuten, pro Person 362 Euro.
2005 wurde in Griechenland die Mehrwertsteuer von 18 auf 19 Prozent erhöht, gleichzeitig, um die Auswirkungen für Menschen mit geringem Einkommen auszugleichen, ein Drei-Säulen-Modell eingeführt für Produkte des täglichen Bedarfs mit den ermäßigten Sätzen von 9 und 4,5 Prozent. Seitdem und seit Beginn der Krise in Griechenland ist die Mehrwertsteuer mehrfach drastisch erhöht worden.
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März 2010, kurz vor dem ersten Antrag Griechenlands auf finanzielle Unterstützung (eingereicht im April 2010) Erhöhung auf 21 Prozent, ermäßigt 10 und 5 Prozent
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Juli 2010: weitere Erhöhung 23, 11 und 5,5 Prozent
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Januar 2011: 23 Prozent, ermäßigt 13 und 6,5 Prozent und ein Nachlass von 30 Prozent auf alle Mehrwertsteuersätze auf den ägäischen Inseln.
Seither fanden weitere Verschiebungen in den einzelnen Sätzen statt: Im September 2011 wurde die Steuer auf alkoholfreie Getränke von 13 auf 23 Prozent erhöht, ebenso wie die Steuer auf Fertiggerichte und Gastronomie. Der Satz für die Gastronomie und Fertiggerichte wurde im Juli 2013 wieder auf 13 Prozent gesenkt.
Der durchschnittliche Standard-Mehrwertsteuersatz liegt in den EU-Mitgliedsländern bei 21,6 Prozent, der höchste Satz mit 27 Prozent gilt in Ungarn. Dänemark, Kroatien und Schweden erheben 25 Prozent.
Die aktuellen Änderungen betreffen die Verteilung der Sätze. Ab sofort (20. Juli 2015) gilt:
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Öffentlicher Verkehr: Erhöhung von 13 auf 23 Prozent
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Verarbeitete Lebensmittel, Catering, Restaurants: Erhöhung von 13 auf 23 Prozent
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Ab Herbst werden für Hotelübernachtungen statt der bis dahin geltenden 6,5 dann 13 Prozent fällig, gleichzeitig fällt der Nachlass von 30 Prozent auf die Mehrwertsteuer auf den meisten griechischen Inseln.
Renten
In Griechenland gibt es nur eine sehr dürftige Arbeitslosenversicherung: Wer arbeitslos wird, erhält ein Jahr lang 360 Euro im Monat, danach gibt es nichts mehr. Die meisten der länger Arbeitslosen fallen auch aus der Krankenversicherung, die medizinische Versorgung wird extrem schwierig.
Wegen dieser fehlenden sozialen Sicherung leben mittlerweile zahlreiche griechische Familien allein von der Rente des Großvaters, der Großmutter. Nach einem Bericht der britischen Zeitung The Guardian betrifft das knapp 49 Prozent der griechischen Familien. Diese Renten sind in den vergangenen Jahren massiv gekürzt worden, durchschnittlich liegen sie jetzt bei 713 Euro pro Monat, für manche GriechIn kommt noch eine Betriebsrente von durchschnittlich 169 Euro dazu. 17 Prozent dieser RentnerInnen leben unter der Armutsschwelle (60 % des mittleren Einkommens) von 384 Euro. Und auch von denen ist ein Großteil der einzige Einkommensbezieher in der Familie – bei Preisen ähnlich wie in Deutschland, gemessen an der Kaufkraft deutlich darüber (siehe oben, ein halbes Pfund Butter für 4,75 Euro).
Doch damit nicht genug. Die Renten müssen weiter gekürzt werden, verlangen die Gläubiger. Unter anderem soll der öffentliche Rentenzuschuss für die niedrigsten Renten zusammen gestrichen werden, die Zahl der armen Rentner wird sich drastisch erhöhen und mit ihr die Zahl der Familien, die sich das Nötigste kaum noch leisten kann.
Gesetzgebung
Sämtliche Gesetze der neuen Regierung, abgesehen von einem einzigen, das sich unmittelbar auf die Bekämpfung der humanitären Krise bezieht, müssen nach Forderung der Gläubiger auf den Prüfstand und angepasst werden, wenn sie Geld kosten. Neues, wieder in Kraft gesetztes Tarifrecht? Wiederherstellung des Gesundheitssystems? Überarbeitung des Rentensystems? Nur nach Prüfung durch EZB, IWF und EU-Kommission. Noch bevor das griechische Parlament oder die griechische Öffentlichkeit davon erfahren dürfen.
Man stelle sich vor, Finanzminister Wolfgang Schäuble wäre gezwungen, seine Steuerpolitik mit europäischen Institutionen oder dem griechischen Finanzminister abzustimmen, Arbeitsministerin Andrea Nahles ihren viel zu niedrigen Mindestlohn mit Francois Hollande und der Europäischen Kommission. Beides würde zwar wahrscheinlich dazu führen, dass Deutschland nicht mehr ohne Rücksicht auf Verluste exportieren und damit die Euro-Zone an den Rand des Zusammenbruchs bringen würde, der Aufschrei wäre aber unüberhörbar.
Tarifpolitik und Lohnentwicklung
In Deutschland schlägt die Debatte um das Tarifeinheitsgesetz hohe Wellen, weil viele dahinter eine Einschränkung des Streikrechts vermuten. Felix Germania. In Griechenland gilt spätestens seit 2010 anderes Recht. Damals, so berichtet das Europäische Gewerkschaftsinstitut ETUI wurde der Tarifabschluss des Gewerkschaftsverbandes GSEE (keine Gehaltserhöhungen bis Sommer 2011, ab dann Gehaltserhöhungen maximal zum Ausgleich der Inflationsrate in der gesamten Eurozone – die angesichts der drastischen Preisanstiege in Griechenland im Durchschnitt deutlich niedriger ist als in Griechenland) per Gesetz als Obergrenze eingezogen – und das gilt in erster Linie für die private Wirtschaft, im öffentlichen Dienst wurden deutlich schärfere Kürzungen vorgenommen. Weitere Kürzungen folgten: Die massiv steigende Arbeitslosigkeit und die Schwächung der Gewerkschaften nutzten viele Arbeitgeber, um einseitig Tarifverträge zu kündigen und niedrigere Löhne zu vereinbaren, im Durchschnitt sanken die Löhne in Griechenland in den vergangenen Jahren um 40 Prozent, das mittlere Einkommen sank von 11 963 Euro 2011 jährlich auf 7680 Euro im Jahr 2014, ein Rückgang um 36 Prozent.
Wiederum auf deutsche Verhältnisse hieße das – mittleres Einkommen 2011: 18 797 Euro, Rückgang um 36 Prozent bis 2014: 12 030 Euro bei gleichzeitig deutlich steigenden Steuern und Sozialabgaben.
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