Die Erpresser haben gesiegt - mit verheerenden Folgen
Von Cornelia Ernst
Die Ergebnisse dieses Wochenendes liegen vor, Finanzministertagung, Euro-Gipfel 17 Stunden lang. In fast allen Punkten haben sich die Gläubiger durchgesetzt. Die Abwendung der von Schäuble aufgebauten Drohkulisse Grexit kostete einen hohen Preis. Dabei hat das deutliche Referendum der Griechinnen und Griechen keine Rolle gespielt, Schnee von gestern, wie es Martin Schulz, der EP-Präsident resümierte. Demokratische Entscheide interessieren weder Merkel, Gabriel noch Schulz. Sie haben in ihrer Welt keinen Wert.
Syriza hat ein nach monatelangem zähen und einsamen Kampf gegen die Troika und die Weiterführung der Austeritätspolitik das schlimmste sogenannte Reformprogramm verordnet bekommen, das es je gegeben hat. Die Erpresser haben gesiegt, mit verheerenden Folgen. Damit wird jedwede Solidarität innerhalb der Europäischen Union aufgekündigt. Das vielbeschworene Motto der EU "Vereint in Vielfalt" existiert nicht mehr.
In der Nacht zum Montag wurde der Versuch, die Handlungsfähigkeit Griechenlands für einen neuen und vor allem sozialen Politikkurs wiederzugewinnen, gestoppt. Gesetze werden jetzt nur in Abstimmung mit Brüssel gemacht. Das ist der Verlust eigenständiger Politikentscheidung. Gesetze, die den Geist des "Reformprogrammes" nicht atmen, müssen allesamt zurückgenommen werden. Mit einem Privatisierungsfonds zum Ausverkauf staatlicher Vermögenswerte wird Griechenland zum Befehlsempfänger degradiert und dem Land die Selbstbestimmung genommen. Und die Aussagen zur Umstrukturierung der Schulden sind noch unklar. Die Troika kehrt zurück. Dabei hatte Alexis Tsipras eine Sparliste vorgelegt, die sich deutlich an die Sparforderungen der Gläubiger anlehnte, ein nicht zu übersehendes maximales Zugeständnis. Die Zurückweisung dieser Liste, insbesondere durch die deutsche Seite, offenbart, worum es von Anfang an ging: einen neuen Politikkurs in Griechenland mit Syriza zu verhindern. Der griechische „Fall“ gilt als eine Art Ausbruchsversuch aus den Fängen einer strikten fiskalpolitischen Logik. Diesen im Keim zu ersticken ist den Mächtigen in Europa wichtig. Sollen doch dieser Verweigerung andere Länder nicht folgen, wie Spanien oder Irland.
Dahinter verbirgt sich auch die Angst, dass eine Abkehr von der bisherigen Austeritätspolitik die Kanzlerschaft Angela Merkels gefährden könnte. Denn Merkel steht und fällt mit dieser Politik, sie verkörpert sie höchstpersönlich. Das Ergebnis dieses Gipfels hat nachhaltige Wirkungen auf die Entwicklung der EU, die sich zunehmend repressiv ausnimmt und die tiefen Gräben zwischen Oben und Unten, reichen und armen Ländern weiter zementiert. Das zeigt sich auch in anderen Fragen, wie der Flüchtlingsaufnahme und beim stetig wachsenden Demokratiedefizit auf europäischer Ebene. Die EU erweist sich mit ihren Institutionen, insbesondere durch den von national-egoistischen Interessen dominierten Rat, immer mehr als Bremserin sozialer Entwicklung. Gibt es keinen Politikwechsel, dann erschöpft sich das Projekt der europäischen Einigung in dieser Form. Dagegen eine andere Politik setzen zu wollen, ausgerechnet in dem Land, das unter dem stärksten Druck der Gläubiger steht, nötigt uns großen Respekt ab.
Syriza hat alles auf diese Karte gesetzt und braucht jetzt mehr denn je uns – als Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde. Wir Linken in Europa müssen aufwachen und uns über all unsere Meinungsunterschiede und politisch-kulturellen Differenzen hinwegsetzen, wenn wir auch nur den geringsten Einfluss auf einen Veränderung in Europa haben wollen. Wir müssen uns aus unserer nationalen Enge herausbewegen. Die Wiedergeburt einer Solidarität mit den Menschen, die unter dem gegenwärtigen Politikkurs in Europa leiden, jenseits von Chauvinismus und nationalistischer Hetze, braucht unsere Kraft. In gewisser Weise müssen wir unsere Politik internationalisieren. Das trifft in gleicher Weise auf die Europäische Linke zu.
Wir brauchen einen Neuanfang in Europa, in der EU, und eine kampfstarke Linke.
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