Neue Solidarität und mehr Investitionen in die Zukunft

Gemeinsame Erklärung: r2g nicht abschreiben

03.04.2016

Menschenwürde und universelle Menschenrechte sind für uns nicht verhandelbar. Wir verweigern uns allen populistischen Versuchen, Gruppen von Menschen in Deutschland oder weltweit gegeneinander auszuspielen. Immer wieder werden der Umgang mit den in Deutschland ankommenden Flüchtlingen sowie die Zerwürfnisse in der Europäischen Union als grundlegend für die Wahlentscheidungen Vieler am 13. März in Sachsen-Anhalt, BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz genannt. Aber ist dem wirklich so?

Wir alle müssen uns eingestehen, dass wir es zugelassen haben, dass die Diskussion in Deutschland über die Aufnahme sowie die Integration von Geflüchteten auch zu einer Sozialneiddebatte geworden ist. Überwiegend, auch zum Teil in unseren Parteien, wird die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zugunsten sozialer Gerechtigkeit für deutsche Staatsbürger*innen in Frage gestellt. Die Integration von Flüchtlingen steht aber gerade nicht im Gegensatz zur sozialen Frage, die sich nicht erst seit gestern in diesem Land und in Europa stellt. Die soziale Frage ist eine Frage der globalen Gerechtigkeit. Ein Solidarprojekt, wie es SPD-Parteichef Sigmar Gabriel fordert, ist daher sicherlich überfällig. Jedoch wollen wir kein Solidarprojekt, weil die AfD gewählt wurde, sondern weil alle hier lebenden Menschen nicht erst mit der Wahl der AfD ein Recht auf soziale Gerechtigkeit und Teilhabe haben. Ein solches Solidarprojekt kommt nicht von allein und muss mit einer klaren gesellschaftspolitischen Haltung sowie Strategie gefüllt wird. Ein Solidarprojekt kostet Geld und für uns stellt sich somit erneut die Frage nach einer solidarischen Umverteilung. Ein Solidarprojekt umfasst eben auch die Frage von öffentlicher Daseinsvorsorge und kommunaler Ausstattung im Interesse der Menschen. Nur wenn die notwendigen Mittel und der politische Wille, d.h. die politischen Mehrheitsverhältnisse zur Verfügung stehen, ist ein solches Projekt auch realistisch.

Wir wissen, dass die zurückliegenden Landtagswahlen trotz erhöhter Beteiligung kein Rückenwind für links-grüne Koalitionen waren, im Gegenteil. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das rot-rot-grüne Lager in den drei Ländern zusammen über 265.000 Parteistimmen verloren hat. Klar ist, dass Rot-Rot-Grün auch eine Frage gesellschaftlicher Wechselstimmung und nicht nur eine der Koalitionsaddition ist. Uns verbindet nach wie vor Vieles. Die Verteilungsfrage ist dabei der Kern. Die Mehrheit in der Gesellschaft trägt die Ideen und politischen Ansätze für soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und Solidarität. Gleichzeitig erkennen wir an, dass solidarische Antworten auf drängende soziale Fragen in der Vergangenheit in der Politik nicht mehrheitsfähig durchsetzbar waren. Dennoch erscheint es uns zu früh, von dieser über eine bloße Addition einer Idee hinausreichenden strategischen und politischen Option jetzt abzurücken. Die Auseinandersetzungen in der Flüchtlingsfrage haben gezeigt, dass es wichtig ist, Haltung zu bewahren. Mitmenschlichkeit und Solidarität sind nicht verhandelbar.

Gerade deshalb bleiben wir dabei, dass wir gemeinsam das Primat der Politik verteidigen werden, statt eine Entwicklung zu akzeptieren, die die Demokratie aushöhlt und ihren Wert in Frage stellt. Wir stehen weiter gemeinsam ein für eine offene demokratische Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit, mehr individueller Freiheit sowie kultureller Offenheit. Es geht uns um eine soziale, vielfältige und ökologische Gesellschaft ohne Re-Nationalisierung, Chauvinismen und hoffähige rassistische Kommunikation und Gewalt. Wir brauchen eine neue Solidarität und mehr Investitionen in die Zukunft.

Aus rot-rot-grüner Perspektive muss ein Solidarprojekt u.a. folgende Inhalte umfassen:

  • 1. Solidarische Gesellschaft: Die hohe und wachsende Zahl von Kindern in Armut ist ein gesellschaftlicher Skandal. Die Einkommens- und Vermögensschere darf sich nicht weiter öffnen. Steuern müssen darauf entsprechende Antworten geben. Die Kapitalbesteuerung ist zu gering, beim Spitzensteuersatz besteht Luft nach oben. Dieses Geld wollen wir investieren in Bildung, Erziehung, Familie und öffentliche Infrastruktur.
  • 2. Offene Gesellschaft: Wir wollen eine Gesellschaft, die gegen jede Form der Ausgrenzung einsteht. Rassismus hat keinen Platz. Projekte, die sich gegen Ausgrenzung engagieren, wollen wir massiv fördern. Demokratieferne Räume wollen wir nirgends dulden, sondern im Gegenteil die Zivilgesellschaft in starkem Maße unterstützen, solche Räume zurückzuerobern.
  • 3. Ökologische Modernisierung: Zur Zukunftsfähigkeit des Landes gehört eine ökologische Modernisierung. Diese umfasst mehr Investitionen in den Umbau der Energieversorgung, mehr Anreize für Energieeffizienz sowie einen nachhaltigen Wohnungsbau, einen nachhaltigen Verkehr und eine nachhaltige Landwirtschaft.
  • 4. Investitionen in Familie und Bildung: Wir wollen die Investitionen in Familie und Bildung massiv erhöhen. Bildung ist und bleibt der Schlüssel zur Integration und für einen demokratischen Rechtsstaat. Bildung muss von der Kita an kostenfrei und für alle gleichermaßen zugänglich sein.
  • 5. Öffentliche Investitionen in Infrastruktur: Deutschland fährt derzeit auf Verschleiß. Wir wollen, dass mehr in die öffentliche Infrastruktur, den sozialen Wohnungsbau sowie den Breitbandausbau investiert wird. Dabei stehen ökologisch und sozial nachhaltige Investitionen im Mittelpunkt. PPPModelle oder ähnliche Finanzierungen lehnen wir als Verschwendung öffentlicher Mittel ab.
  • 6. Gute Arbeit: Wir wollen, dass Arbeit geregelt und auskömmlich finanziert wird. Jede Form von Lohndumping und unsicherer Beschäftigung wollen wir regulieren. Wer vorübergehend irregulär arbeitet, muss dafür höher vergütet werden. Frauen haben seit über fünf Jahrzehnten ein Recht auf Entgeltgleichheit. Diesem Grundsatz müssen wir endlich gerecht werden. Für gering Qualifizierte fordern wir einen öffentlich geförderten sozialen Arbeitsmarkt zur Realisierung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben.
  • 7. Auskömmliche Rente: Die Rente muss auskömmlich sein. Dazu braucht es ein entsprechend hohes Rentenniveau, das Altersarmut verhindert. Gegenwärtig läuft es unweigerlich darauf hinaus, dass große Teile der Bevölkerung von Altersarmut betroffen sein werden. Damit wird die Legitimität des gesamten Sozialversicherungssystems untergraben. Dem muss sich eine große Rentenreform stellen, die auch eine vollständige OstWest-Angleichung einschließt.
  • 8. Solidarische Krankenversicherung: Die Frage der Gesundheit darf nicht, wie es heute ist, vom Einkommen und Vermögen abhängig sein. Eine Krankenversicherung ist dann solidarisch und zukunftsfest, wenn alle nach ihrer Leistungsfähigkeit in ein öffentliches System einzahlen. Dieses wollen wir erreichen.
  • 9. Gute Finanzausstattung der Kommunen: In den Kommunen findet das Leben der Menschen statt. Hier wird Demokratie konkret erfahrbar. Die Kommunen brauchen eine ausreichende Finanzausstattung. Auch für die Finanzierung von frühkindlicher Bildung und Maßnahmen der Integration von Einheimischen und Zugewanderten.
  • 10. Internationale Solidarität: Die Lehre aus der aktuellen Flüchtlingssituation muss ein Mehr an internationaler Solidarität sein. Dazu gehört eine deutliche Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit und die Humanitäre Hilfe. Waffenexporte sehen wir grundsätzlich kritisch. Die soziale und wirtschaftliche Dimension der Menschenrechte ist ein Schlüssel zur Verhinderung weiterer Flüchtlingskrisen. Es müssen endlich die Fluchtursachen wirksam bekämpft werden.
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:

Katja Dörner, MdB Grüne
Agnieszka Brugger, MdB Grüne
Uli Grötsch, MdB SPD
Susanna Karawanskij, MdB LINKE
Sven-Christian Kindler, MdB Grüne
Cansel Kiziltepe, MdB SPD
Monika Lazar, MdB Grüne
Stefan Liebich, MdB LINKE
Lisa Paus, MdB Grüne
Sönke Rix, MdB SPD
Frank Schwabe, MdB SPD
Kirsten Tackmann, MdB LINKE
Halina Wawzyniak, MdB LINKE
Stephan Borghorst, Sprecher Denkfabrik in der SPD-Bundestagsfraktion
Dominic Heilig, Bundessprecher Forum Demokratischer Sozialismus (fds) in der LINKEN
Angela Marquardt, Geschäftsführerin Denkfabrik in der SPD-Bundestagsfraktion
Luise Neuhaus-Wartenberg, MdL Linke, Bundessprecherin Forum Demokratischer Sozialismus (fds) in der LINKEN
Nicole Wloka, Vorstand der Denkfabrik in der SPD-Bundestagsfraktion