"Das Gesamtergebnis der Bundestagswahl ist äußerst traurig"
Axel Troost im Interview mit der Athener Presseagentur
Interview für die Athener Presseagentur, das am 30.09.2017 auf der Syriza-nahen Website left.gr veröffentlicht wurde
APE-MPE: Herr Troost, wie bewertet DIE LINKE das Ergebnis der Bundestagswahl?
Axel Troost: Mit gemischten Gefühlen. Wir haben unser Ergebnis sowohl prozentuell wie in absoluten Wählerstimmen signifikant verbessert. Uns haben in etwa eine halbe Million mehr Bürger gewählt, hauptsächlich in den alten Bundesländern. Gleichzeitig erlebten wir aber auch einen signifikanten Rückgang der Wählerzustimmung in den neuen Bundesländern.
APE-MPE: Ist das nicht paradox?
Axel Troost: Ja, es mag paradox klingen, wir waren ja immer stärker in den neuen Bundesländern, es ist aber passiert. Dort haben wir ca. 25-30% unserer Wählerstimmen verloren, allerdings nicht in den Städten, sondern auf dem Land. Der Parteivorstand schätzt, dass diese Entwicklung nur schwer rückgängig gemacht werden kann, da unsere Partei u.a. dort nicht mehr ausreichend mit jüngeren Mitgliedern vertreten ist. Die erfreuliche Entwicklung ist natürlich, dass wir in den alten Bundesländern signifikant zugenommen haben; selbst in schwierigen Ländern wie Bayern erreichten wir 6,5% der Stimmen, wobei es in München sogar über 8% waren. Dies ist eine wichtige positive Entwicklung, die zeigt, dass mit dem Tabu des Antikommunismus gebrochen wurde; persönlich sehe ich eine Etablierung der LINKEN in diesen Bundesländern voraus. In dieser Hinsicht handelt es sich um ein besonders erfreuliches Ergebnis für DIE LINKE.
APE-MPE: Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Bundestagswahl insgesamt?
Axel Troost: Das Gesamtergebnis ist äußerst traurig, denn es bestätigt einen sehr starken Rechtsruck zulasten der CDU und der SPD, besonders in den neuen Bundesländern. Zu diesem Rechtsruck ist auch die FDP zu zählen, die bei manchen Themen moderat sein mag, sich in Wirtschafts- und Europafragen jedoch weiter rechts von der CDU befindet. Es handelt sich um eine dramatische Kräfteverschiebung, die wir in den kommenden vier Jahren im Bundestag erleben werden.
APE-MPE: Wie erklären Sie die herben Verluste von CDU und CSU?
Axel Troost: Die Prognosen gaben ihnen bis zu 40%, aber in den letzten Wochen vor der Wahl verloren sie an Wählerzustimmung, was an Unzufriedenheit mit der Regierungskoalition liegt. In den letzten Wochen haben die Parteien und insbesondere die Presse die Flüchtlings- und Asylfrage sowie Probleme mit Migranten in den Vordergrund gebracht. In allen Wahlkampfsendungen standen diese Themen im Mittelpunkt der Debatten. Bei der TV-Debatte zwischen Merkel und Schulz war sogar die ganze erste Stunde der Flüchtlingsfrage gewidmet. Ich muss jetzt nicht extra darauf hinweisen, dass dies auch das Hauptthema der AfD ist. Dies trug sehr dazu bei, dass das Wahlergebnis in diese Richtung ausfiel.
APE-MPE: Und wie ist die Niederlage der SPD nach einem Wahlkampf zugunsten der sozialen Gerechtigkeit zu erklären?
Axel Troost: Als sie Martin Schulz mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit aus dem Hut herauszauberten, erhöhte sich die Wählerzustimmung für die SPD kurzfristig um 6 bis 8 Prozentpunkte. So ergab sich die rechnerische Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der LINKEN und den Grünen. Die SPD schloss aber bald eine Zusammenarbeit mit uns aus. Dann sagte Herr Schulz, er könne sich politische Maßnahmen zugunsten der sozialen Gerechtigkeit auch mit der FDP vorstellen. So verspielten sie ihre Glaubwürdigkeit und so wurde auch bewiesen, dass ihr Versprechen über soziale Gerechtigkeit eine Seifenblase waren, dass es sich mehr um Wahlkampfversprechen handelte, als dass sie tatsächlich an ihre Umsetzung glaubten. Natürlich waren viele der Vorschläge zur sozialen Gerechtigkeit, auf die Herr Schulz hingewiesen hat, richtig. Politisch gab es jedoch nicht den Willen, auf für ihre Finanzierung zu kämpfen. Themen wie die Erhöhung der Besteuerung hoher Einkommen oder die Vermögensteuer wurden von Herrn Schulz bewusst gar nicht gestellt und so verlor er an Glaubwürdigkeit.
APE-MPE: Ist die AfD Ihrer Meinung nach ein vergängliches Phänomen oder ist sie gekommen, um zu bleiben?
Axel Troost: Ich befürchte, dass in den neuen Bundesländern in ländlichen Regionen das AfD-Phänomen als Problem bestehen bleiben wird. Und ich befürchte auch, dass DIE LINKE nur schwer die Wähler zurückgewinnen wird, die sie traditionell wählten. Im Westen wird es davon abhängen, ob die Bürger das Gefühl bekommen werden, dass sie erst genommen werden. Unsere Partei schätzt, dass eine Jamaika-Koalition eine schwache Bundesregierung sein wird, die in verschiedenen Angelegenheiten politisch stark pendeln wird, weil die Unterschiede zwischen Union, FDP und Grünen sehr groß sind. Das wird ideal für die AfD sein, weil sie dauernd lautstarke Kritik im Bundestag üben und sich wahrscheinlich etablieren wird. Insbesondere auch weil sie als drittstärkste Partei nicht nur im Bundestag und seinen Ausschüssen, sondern auch andauernd in den Medien präsent sein und so ihre Ansichten verbreiten wird.
APE-MPE: Werden es die drei potentiellen Partner schaffen, am Ende eine Koalition zu bilden? Sind ihre Unterschiede nicht zu groß, wie Sie vorher sagten?
Axel Troost: Sie werden bis zum letzten Moment verhandeln. Die Unterschiede zwischen ihnen sind jedoch so groß, dass bestimmte Themen wahrscheinlich gar nicht erst im Detail behandeln werden. Die FDP und die Grünen werden z.B. über bestimmte Themen verhandeln, bei denen sie eine Übereinkunft erzielen können, z.B. im Umweltbereich, was sie eventuell mit gegenseitigen Zugeständnissen erreichen können. Ich befürchte aber, dass es bei einem grundlegenden Thema kein großes Zugeständnis geben wird, nämlich das der europäischen Solidarität.
APE-MPE: Was würde also Ihrer Meinung nach eine Regierung aus Union, FDP und Grünen für Europa und insbesondere für Griechenland bedeuten?
Axel Troost: Lassen Sie es uns anders angehen. Es gab ja die Wahrscheinlichkeit, dass die Bundestagswahl zu einer Regierung nur aus Union und FDP führen würde, und das wäre viel schlimmer. Das wäre tödlich. Jetzt müssen die Grünen zumindest ihre eigenen Akzente setzen. Andererseits haben sowohl Frau Merkel und Herr Schäuble wie all jene, die ihre Ansichten teilen, begriffen, dass mit dieser Wirtschaftspolitik nicht mehr lange in Europa weitergemacht werden kann. Auf dem Spiel steht die Zukunft Europas und des Euro. Aber auch Herr Macron wird unter Erfolgsdruck stehen. Nicht nur bei den Reformen, sondern auch bei den Investitionen, die Frankreich im Rahmen des Fiskalpakts nicht alleine tätigen kann. Wenn wir Italien betrachten, dann sehen wir, dass auch dort große Probleme bestehen und dass auch dort Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Frage ist, wie die Probleme insgesamt in Südeuropa angegangen werden können, und sie wird nicht dadurch beantwortet, wenn danach gefragt wird, was insbesondere in Griechenland passieren wird, sondern insgesamt und zwar auch in Ländern wie Frankreich, wenn man es zum Süden zählt. Für all dies ist Zeit nötig und ich rechne damit, dass man nicht vor Anfang des kommenden Jahres damit beginnen wird. Insoweit glaube ich nicht, dass kurzfristige Angelegenheiten, wie die Erleichterung der griechischen Schulden von der neuen Bundesregierung auf die Tagesordnung gesetzt werden. Gleichzeitig glaube ich aber, dass, da das gesamte europäische Projekt unter Druck steht, nicht nur Macron sondern auch die Kommission ernsthafte Vorschläge in die Richtung einer besseren Koordinierung Europas auch in Angelegenheiten wie Investitionen machen wird.
APE-MPE: Könnte die Bildung einer neuen Bundesregierung an den extremen Positionen der FDP zu Griechenland, wie zum Beispiel dem Austritt des Landes aus der Eurozone, scheitern?
Axel Troost: Ich glaube nicht, weil das Thema auch von der FDP nicht besonders betont wurde, um es als Bedingung zu stellen. Und es ist auch nicht machbar, weil es sich um eine einseitige Forderung einer deutschen Partei handeln würde, mit der keine europäische oder internationale Institution einverstanden sein würde, nach all den harten Bemühungen, die es gegeben hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas passiert.
APE-MPE: Nehmen wir mal an, dass die drei potentiellen Partner bei den Koalitionsverhandlungen scheitern. Wie wahrscheinlich ist dann eine Beteiligung der Sozialdemokraten an einer Neuauflage der großen Koalition mit den Unionsparteien?
Axel Troost: In der Politik kann nichts ausgeschlossen werden. Wenn die drei nicht zueinander finden und es zu Neuwahlen kommt, was in Deutschland gar nicht üblich ist, kann ich es nicht ausschließen. Das würde aber eher die Situation verschlechtern, da solch eine Bundesregierung schwächer als die vorherige wäre und sich im Bundestag kurioserweise der Opposition von vier nahezu gleich großen kleineren Parteien stellen müsste. Mir wäre eine Jamaika-Koalition lieber und in der Opposition würde ich mir eine Zusammenarbeit zumindest mit einem Teil der Sozialdemokraten wünschen. Als Linker würde ich natürlich eine rot-rot-grüne Bundesregierung vorziehen.
APE-MPE: Könnte die Zusammenarbeit der LINKEN mit den Sozialdemokraten in der Opposition der Ausgangspunkt für solch eine rot-rot-grüne Bundesregierung in der Zukunft sein?
Axel Troost: So etwas wäre eine schöne Vorstellung. Den Grünen müsste aber nach ihrer Beteiligung an einer Jamaika-Koalition zuerst der Wiedereinzug in den nächsten Bundestag gelingen. Wenn sie es also schaffen, innerhalb dieser Koalition zu überleben, wenn es zu keiner Abspaltung des grünen Flügels kommt, der entschieden dagegen ist. Aus diesem Grund haben ja auch in den alten Bundesländern massenweise grüne Wähler DIE LINKE gewählt. Die Zusammenarbeit der LINKEN mit den Sozialdemokraten in der Opposition birgt natürlich eine Chance, aber es gibt auch den rechten SPD-Flügel, der dies schon jetzt ausschließt und nichts mit der LINKEN zu tun haben möchte.
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