Vorgeschmack auf die Bundestagswahl: Kandidaten-Dialog in der IHK zu Leipzig
"Bundestags-Direktkandidaten im Dialog" hatte die IHK zu Leipzig ihre Veranstaltung genannt, zu der sie am Mittwochabend ab 17 Uhr eingeladen hatte. Und nicht nur über 100 Unternehmer kamen – auch die wichtigsten Direktkandidaten zur Bundestagswahl folgten der Einladung. 16 an der Zahl.
„So viele hatten wir hier noch nie", freute sich Wolfgang Topf, Präsident der Industrie- und Handelskammer in seiner launigen Eröffungsrede, in der er in Kürze noch einmal auf die aktuelle Lage der Unternehmen einging. Und die ist nicht rosig. Manche Branche hatte schon das Jahr 2008 heftig erwischt – doch die aktuelle Weltfinanzkrise hat auch gestandene Unternehmen der Region Westsachsens an den Rand des Verkraftbaren geführt. Kein Wunder, dass später in der Fragerunde auch immer wieder Warnungen auftauchten: Die Mehrzahl der Insolvenzen kommt erst. Und auch die Arbeitslosenzahlen werden steigen. Nebst der Warnung für die Kommunen, dass die großen Steuereinbrüche noch kommen und erst 2013 dieses Tal der Tränen durchschritten sein wird. Was dann wieder fehlende Investitionsspielräume bedeutet und möglicherweise heftige Einschnitte im sozialen Netz.
Aber schon diese vagen Stichpunkte zeigen: Das konnte nicht einmal ansatzweise ausdiskutiert werden bei 16 Kandidaten. Selbst Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee hat einen Termin mit seinem dänischen Kollegen sausen lassen, um dabei sein zu können. Er bewirbt sich am 27. September um das Direktmandat in Leipzig-Süd. Und dass er seine zwei Minuten Redezeit nicht einhielt, verübelte ihm auch niemand. Doch deutlicher als jeder andere Kandidat erklärte er, warum mit einfachen Heilsrezepten keine Lösung zu finden ist.
Und warnte vor allem vor Steuersenkungen. Darin mit fast allen anderen Parteien im Podium auf der selben Wellenlänge: Die Finanzlasten, die der so viel bescholtene Staat in der nächsten Zeit zu schultern hat, lassen Steuersenkungen gar nicht zu.
Im Gegenteil, erklärte Axel Troost, Wirtschaftsforscher aus Bremen, der seit 2005 mit einem Mandat der Linkspartei im Bundestag sitzt: es werde ja bei einigen Parteien schon hörbar über Steuererhöhungen gemunkelt.
Um das verfilzte deutsche Steuersystem ging es vor allem in der Runde mit den ersten acht Kandidaten. Es ist einer der Hauptkritikpunkte, den auch Leipzigs Wirtschaftsverbände immer wieder ansprechen: Es ist zu kompliziert, frisst Zeit und Geld, bedroht wie das Erbschaftssteuerrecht sogar Nachfolgeregelungen, und im Wettbewerb mit anderen Ländern sogar ist es teilweise kontraproduktiv. Auch wenn der Blick in die östlichen Nachbarländer manchmal übersieht: Die "wettbewerbsfähigen" Steuersätze haben nicht nur soziale Abholzungen zur Folge gehabt, sondern auch Wirtschaftskrisen, an deren Folgen die Länder heute noch knabbern.
Zumindest in einem war sich die Kandidatenrunde relativ einig: Eine Vereinfachung des Steuerrechts ist überfällig. Nur das "Wie" wird sich im politischen Findungsprozess sehr kompliziert gestalten, auch wenn es in der Vision der FDP – vertreten durch Marcus Viefeld und Cornelius Janßen – so schön einfach klingt: Niedrige einheitliche Steuersätze für alle – das Geld bleibt in den Börsen der Konsumenten und Unternehmer – und dann geht die Post ab.
Die Komplikationen beginnen schon bei der simplen Frage nach dem verminderten Mehrwertsteuersatz, der in Deutschland für alles Mögliche gilt. Nur ist die zu Grunde liegende Liste mittlerweile ein einziger Unsinn, wie etwa Manfred Kolbe, Bundestagsabgeordneter der CDU bestätigte. „Da müssen wir in der nächsten Legislaturperiode rangehen", sagte er. „Da kommen wir mit Einzelanträgen nicht mehr weiter."
Dirk Steinert vom Stelzenhaus hatte das Thema angesprochen. Ganz aus unternehmerischer Sicht: Ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie könne der Branche in diesen Krisenzeiten doch gewaltig helfen.
Eine Wortmeldung, die schon anklingen ließ: Die Rhythmen von Wirtschaft und Politik sind völlig verschieden. Wo der Unternehmer oft im Tagesgeschäft schnell entscheiden und "den Hebel umlegen" muss, geht politischen Entscheidungen nicht nur ein langer Weg durch die Instanzen voraus, es hat auch Auswirkungen auf andere Bereiche der Gesellschaft. Daran erinnerte Manfred Kolbe: Auch eine Ausweitung des siebenprozentigen Steuersatzes muss gegenfinanziert werden. Das summiert sich im Bundeshaushalt auch schnell mal auf ein paar Milliarden.
Und ob das der Gastronomie in Leipzig hilft, sei zu bezweifeln, so Barbara Höll, Bundestagsabgeordnete der Linken. Denn Leipzigs Problem sei schon seit Jahren die zu geringe Kaufkraft. Und Holm Retsch, Geschäftsführer des DEHOGA Leipzig, erinnerte aus dem Publikum heraus nicht zu Unrecht daran, dass Leipzigs Hotellerie und Gastronomie mit der Finanzkrise ebenfalls in ein gehöriges Umsatzloch geschlittert ist. Zwar stiegen bis März die Übernachtungszahlen weiter an. Aber schon seit Ende 2008 verspüren gastronomische Einrichtungen, wie Gäste ausbleiben und ihr Geld eben nicht beim Bierchen und Salat in der Gaststätte ausgeben. Nun bleiben auch noch viele Reisende Weg, auch im Messegeschäft – die Krise wird für Gastronomen am täglichen Umsatz sichtbar.
Während gerade die Unternehmen im produzierenden Gewerbe schon wesentlich länger kämpfen, um die Auftragsdelle im Gefolge der Krise zu überstehen. Auch ein erfolgreiches Unternehmen wie Fischer Guss in Großzschocher: Leiharbeiter sind schon längst entlassen, Beschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen auch. Übrig blieb das unbefristet angestellte Kernpersonal von 300 Mitarbeitern. Aber da geht es jetzt ans Eingemachte: Wenn man diese Leute entlässt, kann es passieren, dass man sie mit dem Wiederanziehen der Konjunktur nicht wiederbekommt. Der Kampf um hochqualifizierte Arbeitskräfte ist längst entbrannt.
Also hieß die Frage ans Podium: Hilft noch mehr Flexiblität im Arbeitsrecht? – Ja, schmetterten die Einen. „Es wird kein hire and fire geben", war sich Marcus Viefeld sicher, der seine Erfahrungen als Freelancer in die Waagschale warf. "Man verheiratet sich nicht mehr mit einem Unternehmen."
„Ich kann nur davor warnen", sagte Wolfgang Tiefensee. "Diese Leute verlieren ihre Bindung an ihr Unternehmen. Und andere bieten mehr, dann sind die weg."
Ein Problem, das Leipziger Unternehmen natürlich umtreibt: Zwar finden sie viel Zustimmung bei FDP und CDU, wenn es um die Verhinderung von Mindestlöhnen geht. Aber genau das hat in den letzten Jahren – trotz Verminderung der Arbeitslosigkeit – zu einem Absinken der Kaufkraft in Leipzig geführt. Es bringe gar nichts, wenn man derart Arbeitsplätze schaffe – und die Leute dann doch wieder beim "Staat" auf der Matte stünden.
Was dann den Etat des Arbeitsministers aufbläht. Übrigens auch im Bereich der Rente. Also wurde auch über die labile Lage des Rentensystems debattiert. Und die heikle Frage, ob die jüngeren Generationen überhaupt noch eine zum Leben ausreichende Rente bekommen werden. Natürlich konnte auch dieses Thema so wenig zu Ende diskutiert werden wie das große Thema Kreditklemme, das Leipzigs Unternehmen gerade in Zeiten schwieriger Auftragslagen auch noch das Überbrücken von Finanzierungslücken erschwert.
Nicht sehr tröstlich die nüchterne Analyse von Axel Troost (Die Linke): „Die Banken sind doch fast pleite. Die haben durch ihre enormen Abschreibungen überhaupt keine Spielräume mehr." Werden die nun möglichen "bad banks" die Lösung sein? – Da zweifelte so mancher im Podium.
Und die Visionen, um die es Politik gehen muss, wenn man tatsächlich mittelfristig für eine florierende Wirtschaft vorsorgen will, gingen spürbar an den akuten Schmerzen der Unternehmer vorbei. Da ist es zwar leicht zu sagen, man wolle den "schnellen Rückzug des Staates organisieren" (Cornelius Janßen) und sowieso einen Staat, der sich nicht mehr in Wirtschaftsbelange einmischt, wie Marcus Viefeld so schön sagte. "Die Arbeitsplätze müssen in der freien Wirtschaft entstehen, nirgendwo sonst."
Aber genau diese "freie Wirtschaft" wäre 2009 ohne massive Staatsinterventiion (mit Milliarden Euro an Steuergelden) dröhnend in die Katastrophe geschlittert. Verständlich, dass gerade Grüne, Sozialdemokraten und Linke betonten, man brauche einen starken Staat. Und auf eine Verwerfung machte denn auch Grünen-Kandidat Friedbert Striewe beiläufig aufmerksam: „Wir müssen zu Verhältnissen zurück, die lobby-frei sind."
Denn da mussten denn auch die Kandidaten von CDU und SPD zugeben: Ganz schuldlos sind die Regierungsverantwortlichen der letzten zehn Jahre nicht an der Finanzkrise. Auch in Deutschland nicht. Der Handel mit den wichtigsten Risiko-Papieren war in Deutschland vor 1998 nicht gestattet.
Wohin die Reise geht, das ließen einige Kandidaten schon anklingen. Striewe mit der kleinen Beschwerde, da werde ja kräftig bei den Grünen gemaust, gerade wenn es um eine alternative Energiewirtschaft ginge. Da gab's sogar spürbares Protestgemurmel im Saal, als die Bundestagsabgeordnete der Grünen Monika Lazar von der Notwendigkeit sprach, die Krise zum Umsteuern zu nutzen – hin zu mehr Arbeitsplätzen in der Bildung, in der Krankenpflege, in neuen Wirtschaftsfeldern.
Einiges davon ist ja schon im Keim vorhanden. Nur scheint das in einer anderen Welt zu geschehen als in jener, in der viele Leipziger Unternehmen zu Hause sind. Für sie ist der schnelle Ausbau der A72 näher und elementarer als der "Green New Deal", der neuerdings so gern von anderen Parteien kopiert wird.
Die Benzinpreise an den Tankstellen sind eben nicht nur reine Zockerpreise, wie Peter Porsch, Kandidat der Linken in Nordsachsen, vermutet. Es sind auch die Vorboten einer echten Energiekrise. Und die wird so manche Unternehmen in Leipzig genauso heftig treffen wie die aktuelle Finanzkrise.
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Zum Beitrag mit Fotos auf der Internetseite der Leipziger Internetzeitung
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