DIE LINKE nach der NRW-Wahl In schwerem Fahrwasser
Von J. Bischoff, R. Detje und B. Sander; Aus: Sozialismus Aktuell
Der CDU Spitzenkandidat Röttgen, zugleich Minister für Umwelt und Energie unter Frau Merkel, hatte am Ende des Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen in einer Verzweiflungstat versucht, den Absturz der CDU abzuwenden, indem er die Wahl zu einer Abstimmung über die Europa-Politik der Bundeskanzlerin erklärte. Das Kalkül: Auf Bundesebene stellen sich die Unionsparteien – trotz fortgesetzter, teilweise schwerer Niederlagen auf Landesebene – als nach wie vor relativ stabiler Block dar, während es der Sozialdemokratie nicht gelingt, aus dem 30%-Turm auszubrechen.
Die Verteidigung Deutschlands als wettbewerbsstärkstem Land in Europa gegenüber wachsenden Kreditierungs- und Umverteilungsansprüchen sollte in einem Bundesland überzeugen, das das fünftgrößte Bruttosozialprodukt in der EU produziert. Aber der Appell, angesichts des Zusammenbruchs alter Parteiensysteme (Griechenland) und eines wahrscheinlichen Pfadwechsels in der Europapolitik (Frankreich) die Reihen hinter der Bundesregierung geschlossen zu halten, scheiterte. Die CDU brach auf gut ein Viertel der noch aktiven WählerInnen ein, die SPD konnte sich mit 39,1% wieder als die mit großem Abstand führende politische Kraft des Landes durchsetzen, und mit den Grünen (11,3%) eine komfortable Mehrheit im Düsseldorfer Landtag erkämpfen: Ende der Minderheitsregierung, keine Zitterpartie, klare Kante.
Folgt man den Wahlforschern, dann waren Bildung (zusammen mit Schule und Ausbildung) und die Sanierung der öffentlichen Finanzen (Schuldenbremse, Entlastung der Kommunen) wahlentscheidende Themen. Die FDP hat sich politisch neu erfunden und konnte für das eindeutige Bekenntnis zu einer landesspezifischen Sparpolitik einen Teil der WählerInnen des bürgerlichen Lagers gewinnen. Das langjährige Mantra einer Steuersenkungspolitik (»Mehr Netto vom Brutto«) verschwindet in der Asservatenkammer. Die Union zeigte sich nicht in der Lage, zwischen dem neuen Outfit der neoliberalen Freidemokraten und dem Werben der Sozialdemokratie für einen Mix aus Sparen und Zukunftsorientierung eine regierungsfähige Lücke zu organisieren.
Der Grundkonflikt, wie eine Sanierung der öffentlichen Finanzen in Übereinstimmung mit den grundlegenden Aufgaben eines leidlich akzeptabel gestalteten Gemeinwesens zu kombinieren ist, wurde in NRW zugunsten von Rot-Grün entschieden. »Der Schuldenabbau ist Teil unserer Politik. (…) Man darf aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Sie müssen gleichzeitig auch investieren, gerade in Kinder, Bildung und Vorbeugung. Wir wollen kein Kind mehr zurücklassen. Fakt ist, dass die sozialen Reparaturkosten dramatisch wachsen. Außerdem müssen wir auch über die Einnahmeseite reden.« (Hannelore Kraft) Die Koalitionsregierung hatte – zum politischen Ärger der bürgerlichen Oppositionsparteien – schon in den zurückliegenden Jahren die Nettokreditaufnahme zurückgefahren, gleichwohl Investitionen in dem Bildungsbereich und ein Entlastungsprogramm zugunsten der Kommunen durchgekämpft.
Freilich wurde der Sieg auch begünstigt durch noch gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen (Arbeitsmarkt, Steuereinnahmen) und hält wohl auch nur kurze Zeit: Bis zu den Bundestagswahl im Herbst 2013 will die schwarz-gelbe Bundesregierung über den europäischen Fiskalpakt auch die Spielräume für die Kreditaufnahme von Bundesländern und Kommunen enger ziehen. Die entscheidende Frage ist daher: Werden die Sozialdemokratie und Grünen, gestützt auf den Politikwechsel in Frankreich, eine wirksame Ergänzung des europäischen Fiskalpaktes in Berlin durchsetzen und somit mehr Impulse für Wirtschaftswachstums und vor allem mehr Zeit für den Entschuldungsprozess zu erhalten?
Für die Opposition in NRW gibt eines längere Durststrecke: Die Landes-CDU wird Zeit brauchen, sich neu zu sammeln und aufzustellen, zumal es der FDP gelang, sich auf ihre Kosten zu profilieren: Sie verteidigt das Gymnasium, wo die CDU mit dem »Schulkonsens« und der Sekundarschule der rot-grünen Minderheitsregierung zur Seite gesprungen war und auch das gebührenfreie Kindergartenjahr und die Abschaffung der Studiengebühren nicht mehr in Frage stellen wollte. Eigenes Profil war so für einen Teil der AnhängerInnen der CDU nicht mehr erkennbar. Sie wechselten zur FDP, die zu Beginn des Wahlkampfes noch bei 2% am Boden lag, oder blieben zu Hause.
Mit 59%-Wahlbeteiligung zeugt auch der Urnengang in NRW von der sich weiter verfestigenden Krise der traditionellen Formen parlamentarischer Opposition. Selbst der erneute Einzug der PIRATEN in ein Landesparlament mit überaus beachtlichen 7,8% konnte per Saldo nicht mehr WählerInnen mobilisieren. Die »Parteiendemokratie« fächert sich aus, ohne dass dies zu einer Revitalisierung des politischen Systems führen würde. Und auch parteipolitischer Niedergang scheint nur noch begrenzt neue Lebensgeister freizusetzen. Das Wahlergebnis für die LINKE (2,5%) war antizipiert und Wochen vor dem Urnengang als letztlich nicht mehr änderbar hingenommen worden. Erst danach werden Weichen neu gestellt. Doch auf der Grundlage welcher Wahlauswertung?
Für DIE LINKE ist das Ergebnis eine Katastrophe. Sie steht faktisch wieder da, wo sie 2005 als WASG gestartet war. Doch steht sie heute als ein Sammelbecken von ideologischen Überzeugungstätern und weniger als Aufbruch des sozialen Protests dar. Ihre Wählerinnen blieben zu Hause oder wanderten zur SPD und den Piraten ab. Denn für sie sind Bildungsfragen nicht mobilisierend, weil mit individuellen Selektionsniederlagen verbunden. Studiengebühren sind für an den Rand gedrängte Kinder ebenfalls zweitrangig, da hier schon die Erlangung der Hochschulreife den Kostenrahmen ihrer Familien überschreitet. Das Sozialticket wiederum verschreckte jene, die versuchen müssen, mit wenig Geld aus eigener Arbeit über die Runden zu kommen. Das Thema Gute Arbeit wurde im Wahlkampf von der LINKEN nicht thematisiert, sie bleibt eine Partei der Umverteilung.
Auch für die LINKE war dies eine weitere Niederlage. Der Abwärtstrend setzte mit den Bundestagswahlen 2009 ein und die mehr oder minder schweren Niederlagen bei Landtagswahlen wurden bislang nicht als Aufforderung einer selbstkritischen Neuerfindung des Projektes verarbeitet. Selbstverständlich war das dissonante Agieren des Führungspersonals ein Krisenfaktor. Aber mittlerweile hat die Abwanderung von WählerInnen und Mitgliedern auch massive Löcher in die organisatorisch-finanzielle Struktur der Partei gerissen. Aus unserer Sicht der wichtigste Faktor für den Niedergang: die politische Kultur eines breiten linkspluralistischen Parteiprojektes ist erheblich beschädigt. Selbstverständlich ist es nicht einfach im sechsten Jahr einer Großen Krise die Notwendigkeit eines grundlegenden Politikwechsels an einen größeren Kreis von WählerInnen zu vermitteln, aber die Vorherrschaft der »Linkshaberei« ist eine sichere Methode der politischen Arbeit die eigene Bedeutungslosigkeit zu erzeugen.
Das Hauptproblem für DIE LINKE in NRW war zudem, dass sie seit ihrem Einzug in den Landtag zu keinem Zeitpunkt deutlich machen konnte, dass ihre strategische Position darin bestand, die rot-grüne Minderheitsregierung durch millimeterweise Manöver zu einer konsequent sozialdemokratischen Politik zu drängen, die Kraft sozusagen auf die Gleise zu setzen. Schon zum Start verstrickte man sich beleidigt in die Vorwürfe, eine »Mauerpartei« zu sein, statt auf die landespolitischen Notwendigkeiten hinzuweisen. Das lag letztlich an dem ungeklärten Verhältnis, das man zu ökonomischen Konzepten des Realsozialismus (»Eigentumsfrage«) hat. Danach bot man bei jeder Haushaltsdebatte einen milliardenschweren Forderungskatalog an, den man sich dann für ein paar Millionen für eine soziale Wohltat abkaufen ließ, die so ähnlich bereits im Koalitionsvertrag stand, statt diesen Koalitionsvertrag mit klaren Forderungen zu präzisieren und einzuklagen.
Aus dieser Position heraus konnte DIE LINKE dann auch nicht mehr deutlich machen, wieso der Haushalt 2012 an ihr gescheitert ist. Die Handlungsoptionen für die SPD, die sich der Schuldenbremse nur rhetorisch verweigerte (»steht doch schon im Grundgesetz«), stiegen durch die unklare Haltung der LINKEN paradoxerweise an, da sowohl die FDP (Lindner: »Wir hätten die Ampel doch schon früher haben können«) als auch die Piraten (»Lasst uns ein paar Projekte machen«) Koalition bzw. Tolerierung signalisierten, ohne inhaltliche Forderungen daran zu knüpfen.
Die Landtagsfraktion hatte sich bei dieser Entscheidung unter Mitwirkung des Landesvorstandes über die Partei hinweggesetzt. Das höchste Organ, der Landesparteitag, hatte einen Verhandlungsauftrag formuliert, der vorsah, dass der Landesparteitag die Ergebnisse bewerten sollte. Drei Tage vor diesem Parteitag hat die Landtagsfraktion in der zweiten von drei parlamentarischen Lesungen gegen den Einzelplan eines Ministeriums gestimmt, ohne dazu vom Parteitag beauftragt zu sein. Die Landesregierung hatte zwischen der ersten Lesung, in der DIE LINKE-Landtagsfraktion den Entwurf hatte passieren lassen, und der zweiten Lesung weder wesentliche Verschlechterungen noch Nachbesserungen vorgeschlagen. Für eine Änderung des Abstimmungsverhaltens gab es daher keinen Anlass.
Mit der Ablehnung eines Einzelplans wurde der Lesart der Landtagsverwaltung zufolge der gesamte Haushaltsentwurf hinfällig und die Neuwahl eingeleitet. Es ist unerheblich, ob sich hier jemand taktisch verkalkuliert hat. Tatsache bleibt, dass entgegen der herrschenden basisdemokratischen Schönrednerei die Delegierten übergangen wurden.
In den Haushaltsverhandlungen 2012 präsentierte die Landtagsfraktion wieder einen Wunschzettel, obwohl es einen klaren Verhandlungsauftrag des Landesparteitages mit vier konzentrierten Forderungen gab. Die Landesregierung konnte die sich daraus addierende utopische Summe von 1,3 Mrd. Euro daher zum Vorwand nehmen, auf die vier konkreten Forderungen nicht einzugehen (Sozialticket, sozialer Wohnungsbau, gebührenfreie Kita, mehr Geld für die Kommunen). Dies fiel ihr umso leichter als die finanzpolitischen Spielräume der Landesregierung und der Kommunen, die fast alle mehr ausgeben, als sie einnehmen können, durch Bundesgesetzgebung diktiert werden. Erst ein Regierungswechsel auf Bundesebene eröffnet also überhaupt die Option, dass es vor Ort zu einem Politikwechsel kommen kann. Diese Option ist ganz unabhängig davon, ob DIE LINKE dann direkt an der Regierung beteiligt ist.
Die WählerInnen sind mitleidslos. DIE LINKE hat im NRW-Landtag ihre Funktion erfüllt. Jetzt kann die SPD beweisen, dass sie es auch alleine kann. Die Grünen haben keine nennenswerten Fortschritte erzielt, denn es war in der kurzen Wahlperiode erkennbar, dass sie eher die Scharfmacher einer restriktiven Haushaltspolitik darstellten. Dass angesichts der aus den durch Kürzungsorgien und Zinsschraube ausgezehrten Exportmärkten heraufziehenden Konjunktureintrübung die Handlungsspielräume schrumpfen, bedeutet einerseits einen enormen Druck auf die SPD. Sie kann schwerlich ihr Kümmerer-Image, mit dem Landesmutter Kraft den Wahlkampf bestritten hat, aufrecht erhalten, aber gleichzeitig die von ihren Ministern in der Großen Koalition auf den Weg gebrachte Schuldenbremse einhalten wollen.
An dieser strategischen Stelle, wo die SPD-Landesregierung Kraft II immer wieder in Glaubwürdigkeitsprobleme kommen wird, könnte DIE LINKE ihren Hebel ansetzen. Sie verfügt noch über eine breite kommunalpolitische Basis, die jetzt nicht in Flügelkämpfen zerrieben werden darf, sondern für den außerparlamentarischen Weg genutzt werden kann. Die Verschuldung der Kommunen ist enorm. Hier, wo Politik ganz unmittelbar in das Leben der Bürgerinnen eingreift, werden die Streichungen spürbar.
Die SPD verdankt ihren Sieg zum Teil auch der Law und Order-Politik ihres Innenministers während des Wahlkampfes: Razzien gegen Rocker-Chapters, gegen Pro NRW und andere Neonazis, Salafisten-Straßenschlachten – das vermittelt ein Gefühl der Sicherheit, das die Fragen beim Loveparade-Einsatz in den Hintergrund rückt.
Die Piraten traten in NRW mit den bekannten Forderungen nach fahrscheinlosem ÖPNV, bedingungslosem Grundeinkommen und einem Modell schulischen Lernens, das in seiner Kurs-Basierung fatal an universitäre Bologna-Strukturen erinnert. Da zu diesem Modell von Einheitsschule aber auch die Forderung nach einer maximalen Klassenstärke von 15 Menschen gehört, vermied man auch hier offenbar die Auseinandersetzung seitens der LINKEN. Sich ein ums andere Mal über die Frische der Piraten zu äußern, lud förmlich ein Teil der Unzufriedenen zu den Piraten ein.
Ein politisches »Weiter so!« wird sich die Linkspartei nicht mehr leisten können. Die innerparteilichen Weichen sind so gestellt, dass in wenigen Wochen eine neue Parteiführung gewählt werden kann. Vermutlich wird es schwierig, über der Personalfrage auch eine Verständigung über die anhaltende Krise und über eine strategische Konzeption zu erreichen. Es wäre viel gewonnen, wenn eine erneuerte politische Führung den inhaltlichen und organisatorischen Neuaufbau angehen könnte. Eine handlungsfähige, erneuerte Partei auf Bundesebene und im Bundestag ist gewiss unverzichtbar; aber seit dem Einzug in das Bundesparlament 2005 geht es auch um die Frage, ob die Fraktion einen quicklebendigen Unterbau bekommt.
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