Europa ohne Austeritätspolitik! Der Europawahl-Parteitag der LINKEN
Von Hasko Hüning und Gerd Siebecke
Die Partei DIE LINKE hat am 15.2. das Europawahlprogramm »Europa geht anders. Sozial, friedlich, demokratisch« mit großer Mehrheit verabschiedet und am Tag darauf auch eine KandidatInnenliste für das europäische Parlament bestimmt. Der von Teilen der Medien und wohl auch Einzelnen in der Partei erwartete Eklat fand nicht statt, obgleich im Vorfeld ein massiver Streit programmiert schien.
Nach der kräftezehrenden Bundestagswahl hatte der Parteivorstand zügig einen Entwurf eines Wahlprogramms vorgelegt, der unverzüglich auf Kritik stieß und neben zahllosen Änderungsanträgen schließlich auch einen »linken« Gegenentwurf provozierte. Die auseinanderstrebenden Positionen reichten bis weit in den Vorstand der Partei hinein. Besonders umstritten und in die Öffentlichkeit getragen war die Charakterisierung der EU als eine »neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht« in der Präambel des Leitantrags.
Zwar hatte bereits der Parteivorstand eine Änderung dieser Formulierung beschlossen, gleichwohl wurden in den letzten Tagen vor dem Parteitag zwei weitere Präambelentwürfe ins Spiel gebracht, was die Kompromissfähigkeit der Beteiligten erneut herausforderte. Zudem hatte auch die Sprecherin des »linken Parteiflügels« im Vorfeld des Parteitags in Interviews versucht, eine scharfe Kritik an der gegenwärtigen Verfassung der EU mehrheitsfähig zu machen.
Am Abend vor Eröffnung des Parteitags war es der Parteiführung gemeinsam mit VertreterInnen des hessischen Landesverbandes gelungen, eine Kompromisslinie zu erarbeiten, die sowohl für die Präambel als auch für das Gesamtprogramm offenen Streit und Zerrissenheit vermieden und gleichwohl bei deutlicher EU-Kritik eine pro-europäische Orientierung signalisierten. Dass die Neufassung der Präambel den Delegierten erst am Eröffnungsmorgen des Parteitages vorlag, strapazierte zwar die demokratische Geduld des Parteisouveräns deutlich, insgesamt ermöglichte das Verfahren jedoch einen geordnete Befassung mit Präambel und Programm. Zwar war denn auch das von der FAZ herausgestellte »Gejohle« und »Geschreie« unüberhörbar, prägte den Parteitag jedoch nicht.
Ausdrücklich gerichtet gegen die regierende große Koalition des »Weiter so« heißt es in der Präambel nun: »Wir wollen einen Politikwechsel, damit die EU nicht vornehmlich Eliten an Reichtum und Macht ein zu Hause bietet, sondern sich solidarisch entwickelt… Wir wollen eine Europäische Union, die den Menschen eine tragfähige Perspektive für Frieden und sozialen Fortschritt bietet und der jungen Generation ihre Zukunft ermöglicht. Eine solche EU ist auf der Grundlage der bestehenden Verträge nicht entwickelbar. Sie müssen dringend grundlegend erneuert werden… In ihrer bestehenden vertraglichen Verfasstheit und Politik ist die EU weder auf Frieden und Abrüstung ausgerichtet, noch auf soziale Gerechtigkeit. Nur starke außerparlamentarische Kräfte und eine starke Linke in den Parlamenten können den Neustart schaffen: für ein friedliches, soziales, demokratisches und ökologisches Europa.«
Damit ist eine Grundlage gelegt für die Ausarbeitung eines gemeinsamen Programms der europäischen Linken, das »Europa aus den massiven Spaltungen und Konflikten« (Axel Troost) herausführen muss. Der Spitzenkandidat der europäischen Linkspartei und Chef des Syriza-Bündnisses in Griechenland, Alexis Tsipras, der wegen Krankheit seine Teilnahme an den Diskussionen des Parteitags absagen musste, hatte in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung (15./16.2.) zu Recht herausgestellt, dass es für die Bewältigung der Krise in Europa nur eine gemeinsame europäische Lösung geben kann.
Diese muss neben dem Ende der Sparprogramme und einer europäischen Schuldenkonferenz »drittens und am wichtigsten: einen europäischen New Deal, eine Vereinbarung über die Finanzierung von Wachstum und Beschäftigung, vor allem im europäischen Süden« enthalten. »Ohne wirtschaftlichen Aufschwung ist es unmöglich, aus der Krise zu kommen. Dieses europäische Paket wird sehr viel weniger kosten als neue Rettungspakete für Griechenland, die immer wieder im selben faulen Kreis landen.« Und er fügt hinzu: »Ein Land, das nur auf Tourismus oder Dienstleistungen setzt, hat keine Zukunft. Griechenland braucht einen grundlegenden wirtschaftlichen Wiederaufbau.«
Deshalb wird die europäische Linke ihren Skeptizismus über die EU in einen »konstruktiven Skeptizismus« verwandeln und muss beginnen, konkret an gemeinsamen europäischen Lösungen zu arbeiten: »Unsere Vision ist ein verändertes Europa, ohne Austeritätspolitik.«
Bernd Riexinger griff diesen Aspekt in seiner Rede auf und ging ausführlich auf die wirtschaftspolitischen Kernfragen einer erneuerten Politik in der EU ein. Er konstatierte, dass der Euro nach wie vor in der Bevölkerung eine hohe Glaubwürdigkeit hat, kommt aber zu dem Schluss, dass diese mit großen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Risiken behaftet und die von Deutschland dominierte Politik nur gering demokratisch legitimiert ist. In das Zentrum stellte er die extrem ungleiche Verteilung von wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstand in der EU. Den von der großen Koalition und insbesondere von Wirtschaftsminister Gabriel favorisierten Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und für eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung, also einer Austeritätspolitik ergänzt um letztlich aber zu kurz greifende und zu knapp ausgestattete Investitionsprojekte, widersprach der Parteivorsitzende.
Er stellt heraus, dass es in der EU darauf ankommt, auch durch (wie in Deutschland zu geringe) Lohnkosten verursachte Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Euro-Ländern auszugleichen. Es gilt, über die Veränderung der Verteilungsverhältnisse schrittweise zu einer strukturellen Veränderung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses in der Gesamt-EU zu kommen.
Diese Sichtweise und Aufgabenstellung blieb allerdings auf dem Parteitag marginal; wie schon häufiger in den letzten Jahren zeichneten sich die Parteitagsdebatten der LINKEN nicht durch ein hohes Niveau einer Programmpartei aus. In Sachen Alternative wird im Europawahlkampf nachgelegt werden müssen, damit die Anregungen des Parteivorsitzenden und die Hinweise von Alexis Tsipras in der Wahlstrategie der Partei und in den Wahlaktivitäten vor Ort Berücksichtigung finden.
Einen bedeutenden Anteil der Zeit der Delegierten bzw. der VertreterInnen beanspruchte die Wahl der KandidatInnenliste. Sie war auf dem Parteitag dadurch »aufgeladen«, dass zum ersten Mal nach der Vereinigung von WASG und PDS zur LINKEN die ostdeutschen Verbände entsprechend ihrer Mitgliederzahl mit 62% der Delegierten auf einem Parteitag eine deutliche Mehrheit hatten. Die gern betonte und für eine linke Partei notwendige Vielfalt an Positionen schlägt sich auch im Ergebnis des Personalangebots für die Europawahl nieder: Inhaltlich und häufig organisatorisch auseinanderstrebende Kräfte werden durch eine KandidatInnenliste zusammengeführt, die die organisatorischen Schwächen der Partei in den westlichen Ländern nicht mehr verdeckt.
Weder war der Parteitag in Hamburg eine Zäsur in der Entwicklung der LINKEN, wie sie die Süddeutsche Zeitung glaubt auszumachen zu können, noch wurden Formelkompromisse in Kunstharz gegossen, wie die FAZ ihre Nachbetrachtung titelt. Festgehalten werden kann aber, dass nach zugespitzten Debatten ein Kompromiss gewollt und auch erzielt wurde, der die Widersprüche zwischen den Strömungen und Flügeln zwar nicht auflöst, aber den Willen deutlich macht, diese in weiteren Debatten zu bewegen. Der politische Pluralismus in der LINKEN ist nach wie vor groß, aber Breite und Vielfalt sind nicht mehr notwendigerweise mit gravierenden innerparteilichen Verwerfungen verbunden.
Es ist zudem sichtbar, dass immer weniger die Flügel, sondern Positionen, denen offenbar an der Festigung der Stabilität und Weiterentwicklung der Partei liegt, die Arbeit bestimmen. Wenn es denn gelänge, diese Ansätze zur Neuorientierung und Neupositionierung im Kräftegefüge mit einer verstärkten Debatte um die inhaltlichen Schwerpunkte der vor der Partei und ihren Mitgliedern stehenden Herausforderungen und einer Stabilisierung der Organisation dauerhaft zu verknüpfen, müsste es einem um die Zukunft der LINKEN hierzulande und in Europa nicht bange sein.
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