Politikwechsel in und für Europa
Von Axel Troost
Das EU-Parlament hat Jean-Claude Juncker zum neuen Präsidenten der EU-Kommission gewählt. Die Leitlinien des neuen EU-Kommissionspräsidenten greifen geschickt die veränderten politischen Kräfteverhältnisse in der EU und der Euro-Zone auf. Juncker will in den nächsten Jahren die hohe Arbeitslosigkeit durch mehr Wachstum und Beschäftigung zurückdrängen; es soll also um eine Re-Industrialisierung Europas gehen und um "mehr Europa" bei den großen Themen wie Energie und Außenpolitik.
"Die Krise ist noch nicht zu Ende", sagte Juncker, "sie wird erst vorbei sein, wenn wir Vollbeschäftigung haben. Wir brauchen eine Wirtschaftsregierung, und das werden wir auch erreichen. Auch Juncker will eine stärkere Flexibilisierung des Stabilitäts- und Wachstumspakts umsetzen. "Wir werden den Pakt in den Grundzügen nicht verändern, Europa darf seine Versprechen nicht brechen. Aber in Zukunft werden wir die Flexibilitätsmargen verstärkt nutzen", so Juncker. Der neue Präsident bleibt also im Korsett der alten Regelungen - folglich wird es nur geringe Fortschritte geben. Die europäische Linke muss auf einen konsequenteren Bruch mit der Austeritätspolitik drängen.
Europas Wirtschaft muss nach Ansicht von Juncker wieder wettbewerbsfähiger werden. Er schlägt einen Zehnpunkteplan vor, um das Wachstum anzukurbeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Innerhalb der nächsten drei Jahre will Juncker durch klügere Schwerpunkte im EU-Haushalt und Stimulierung von Privatinvestitionen durch die Europäische Investitionsbank (EIB) bis zu 300 Mrd. Euro zusätzlich mobilisieren. Ein entsprechendes Investitionsprogramm will Juncker bis zum Februar 2015 vorlegen. Das "anspruchsvolle Investitionspaket" aus öffentlichen und privaten Mitteln soll mehr Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und soziale Gerechtigkeit ermöglichen, sagte Juncker. Das Programm werde die "Reindustrialisierung Europas" fördern. Mit diesem Ansatz bleibt Juncker hinter den Erwartungen der sozialdemokratische regierten Mitgliedstaaten und weit hinter den Forderung der europäischen Gewerkschaften zurück. Es zeichnet sich schon vor dem Amtsantritt der neuen Kommission ab, dass die Um-setzung dieses Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung auf heftigen Wider-stand stoßen wird.
Die noch amtierende EU-Kommission unter Baroso hatte für das kommende Jahr einen Haushalt aufgestellt, der Zahlungen in Höhe von 142,1 Mrd. Euro vorsieht. Die EU-Staaten haben diesen Haushaltsentwurf zusammengestrichen. Vertreter der Mitgliedstaaten einigten sich vor kurzem darauf, dass die Europäische Union 2015 nicht mehr als 140 Mrd. Euro ausgeben soll. Diese von den Mitgliedstaaten geforderte Kürzung wird aller Voraussicht nach Widerstand des Europaparlaments hervorrufen, weil deren Mehrheit für ein höheres Ausgabevolumen eintritt. Über diese schwierigen Verhandlung hinweg will Juncker sein Sonderprogramm von 300 Mrd. Euro realisieren. Beide Seiten müssen nun in Verhandlungen eintreten.
Italien hat seit Juli den EU-Vorsitz und der Ministerpräsident Renzi hat gleichfalls Vorstellungen zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und vor allem die Jugendarbeitslosigkeit der südlichen Peripherie-Staaten präsentiert. "Italien möchte, dass die Europäische Investitionsbank eine dynamischere Rolle spielt." Es gebe in der EU zurzeit eine Finanzierungslücke von rund 700 Mrd. Euro zwischen den Investitionen und den nötigen Ausgaben, um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die lahmende Konjunktur wieder anzukurbeln. Die zehn Punkte des Arbeitsprogramms des künftigen Kommissionschefs Juncker bieten also in der Umsetzung reichlich Konfliktstoff und erfordern harte politische Arbeit, um einen alternativen Entwicklungsweg einzuschlagen.
Der Bruch mit dem neoliberale Spardiktat ist überfällig. Die bisherige Austeritätspolitik hat die wirtschaftliche Talfahrt der Krisenländer beschleunigt. Wer in der Krise kürzt und streicht, schwächt die Ökonomie zusätzlich und erhöht die Arbeitslosigkeit.(1) Vor allem in den südlichen Krisenländern muss wieder investiert werden. Die Bildungssysteme, das Gesundheitswesen, die Verkehrsinfrastruktur und die Energieversorgung müssen dringend saniert und modernisiert werden. Deswegen fordern die europäischen Gewerkschaften seit Monaten ein Investitions- und Aufbauprogramm für den alten Kontinent.
Die anhaltende Krise in Europa lässt sich nur mit öffentlichen Krediten und ent-sprechenden Investitionen überwinden. Der Weg über die Europäische Investitionsbank ist sinnvoll, aber die von Juncker anvisierten 300 Mrd. Euro sind deutlich zu gering. Eine höhere Schuldenaufnahme mit dem Ziel, das langfristige Wachstum zu steigern oder zu sichern, ist insbesondere in einem Umfeld niedriger Realzinsen sinnvoll. Ähnliche Argumente lassen sich für Ausgaben zur Verbesserung ökologischer Strukturen, der Bildung und dem Gesundheitsbereich vorbringen.
Die realwirtschaftlichen Bedingungen in der EU haben sich keineswegs verbessert. Positiv ist, dass der Absturz gemessen am Bruttoinlandsprodukt gebremst wurde und die Wirtschaft der Eurozone nicht weiter schrumpft. Aber mit der erreichten Stagnation oder einem geringen Wachstum können die massiven Schäden in den Krisenländern nicht behoben werden. Besonders deutlich zeigen sich die anhaltenden realwirtschaftlichen Probleme an der Arbeitslosigkeit, die sich kaum zurückbildet. Noch immer befindet sie sich in der ganzen Eurozone bei 11,6 Prozent. Wobei auch hier die Zahl dank der beneidenswerten Lage von Deutschland mit einer Arbeitslosenquote von 5,1 Prozent ein zu positives Bild zeigt. In den Peripherieländern liegt sie deutlich höher - in Spanien zum Beispiel bei 25 Prozent.
Die Forderungen nach einem großen europäischen Investitionsprogramm stoßen allerdings auch innerhalb der europäischen Linken auf Vorbehalte. Ein wichtiges Gegenargument gegen ein solches kreditfinanziertes europäische Investitionsprogramm lautet: der Beitrag zur Rekonstruktion der massiv geschrumpften Ökonomien in Griechenland, Spanien und Portugal bleibe doch bescheiden. Zwar könne man positive Effekte nicht ausschließen, aber das Grundproblem der Euro-Zone werde mit einem solchen keynesianisch inspirierten Investitionsprogramm doch nicht gelöst. Denn mehr Investitionen liefen nur auf ein Förderprogramm für den Investitionsgüter-Exportchampion Deutschland(2) hinaus. Um der Euro-Zone ein stabiles Fundament zu geben, braucht es letztlich höhere Löhne und höhere Nachfrage in Deutschland und damit ein Ausgleich der Außenhandelsungleichgewichte.
Es stimmt ja: die sozialdemokratisch geführten europäischen Regierungen betreiben keinen wirklichen Politikwechsel in Sachen Austeritätspolitik. Gerade deswegen trete ich dafür ein, dass die linken Parteien die Forderungen nach einem großen Investitions-programm aufgreifen und einen entschiedeneren Kurswechsel einfordern. Dazu müsste ein Maßnahmenbündel geschaffen werden, das für die gesamteuropäische Perspektive realistisch und überzeugend sowie gezielt auf die Strukturen der einzelnen Länder gerichtet ist. So ein Maßnahmenpaket sollte als Schwerpunkte enthalten:
- Den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur für die Bundesrepublik Deutschland;
- Die Erneuerung und Stärkung der Industrien in allen süd- und osteuropäischen Ländern, wobei diese Erneuerung vor allem auf neue, wissensbasierte Strukturen abzielt. Gerade das hohe Qualifikationsniveau der Arbeitsbevölkerung in den Krisenländern bietet dafür gute Ausgangsbedingungen.
Selbstverständlich geht es auch um die Verbesserung der Arbeitseinkommen und eine Ausweitung der gesellschaftlichen Nachfrage. Die Gewerkschaften sind in den meisten Mitgliedsländern einem starken Lohndruck nach unten ausgesetzt. Dieser angebots-orientierten Lohnkoordinierung muss eine nachfrageorientierte Lohnkoordinierung entgegengesetzt werden. Ihre Träger können allein die Gewerkschaften sein, flankiert durch staatliches Handeln gegen prekäre Beschäftigung und für die Stärkung von Tarifautonomie und Tarifbindung. Die Linke fordert daher: Erstens die Stärkung der Tarifbedingungen und Entwicklung eines europäischen Arbeits- und Tarifrechtes und zweitens die Einführung von Elementen einer europäischen Ausgleichsunion mit denen Verzerrungen auch in den Lohnverhältnissen zurückgedrängt werden können.
Die Stärkung der Verhandlungsposition der Gewerkschaften ist ein wichtiger Schritt zur Überwindung der Krise. Deutlich höhere deutsche Löhne und Gehälter sowie auch dadurch bedingt ein entschiedener Abbau der deutschen Außenhandelsüberschüsse alleine reichen aber in keinem Fall für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Süd- und Osteuropa. Die Stärkung der europäischen Tarifpolitik kann deshalb auch nicht in einen Gegensatz zu einem europäischen Investitionsprogramm gesetzt werden. Mit so einem Programm-Paket besteht auch die Chance einer Vernetzung mit den europäischen Gewerkschaften und damit entstehen neue Möglichkeiten für den dringend notwendigen Dialog zwischen der politischen Linken und den Gewerkschaften.
Anmerkungen
(1) Vgl. Cansel Kiziltepe, Lisa Paus und Axel Troost, Die ungelöste Eurokrise - Zwischenfazit und Ausblick anlässlich der Europawahl. ISM-Denkanstoß Nr. 16, Juni 2014, www.solidarische-moderne.de