Berliner Parteitag der LINKEN und erste Schlussfolgerungen
Von Axel Troost
Der Parteitag liegt hinter uns. In den Medien findet sein Verlauf – mit einer Satzungsdiskussion, der Bestimmung und Konkretisierung von wichtigen Inhalten (Ukraine-Konflikt, Euro-Perspektive, Situation der Kommunen) und einer Neubestimmung der innerparteilichen Kräfteverhältnisse – ein umfassendes Echo. Aus meiner Sicht stehen folgende Aspekte bei der Bewertung im Zentrum:
- Die alte und wiedergewählte Parteiführung (Katja Kipping, Bend Riexinger und Matthias Höhn) hat die Partei stabilisiert.
- Im Rückblick auf die harten Konflikte auf dem Göttinger Parteitag wird festgehalten: Der Selbstzerstörungsprozess ist eingefroren, aber noch nicht überwunden. Die Partei hat seit zwei Jahren bei den Wahlen Stimmen und Prozente verloren. In den großen Flächenländern im Westen sind wir mit deprimierenden Resultaten aus den Landtagen geflogen. Der knappe Wiedereinzug in den hessischen Landtag ist noch kein Zeichen dafür, dass der Trend gebrochen ist. Der Zustrom enttäuschter SPD-Leute zur LINKEN ist versiegt, das Verhältnis zu den Gewerkschaften durchaus eingetrübt. In etlichen Kommunen im Westen sind Ratsfraktionen zerfallen.
- Ein Aufbruch wird von der alten Parteiführung propagiert, aber nur zögernd umgesetzt. Eine Zukunftsstrategie, mit der Sozialdemokratie und Grüne herauszufordern wären, fehlt. Daher sind die Machtperspektiven auf wenige Regionen begrenzt.
- Im aktuellen Ukraine-Konflikt steht DIE LINKE weder an der Seite Russlands noch an der Seite der Nato. Parteichefin Katja Kipping kritisiert die mangelnden demokratische Freiheiten in Russland und die wachsende soziale Spaltung sowie die düsteren sozial-ökologischen Perspektiven.
- Mindestens eine deutliche Minderheit der Parteitagsdelegierten unterstützt ein rot-rotgrünes Politprojekt; allerdings bleiben die Vorstellungen der Konkretisierung reichlich unscharf. Die Partei Die Linke beschwört ansonsten wie häufig das Auftauchen von sozialen Protestbewegungen.
Ob uns diese mediale Spiegelungen oder das Echo der herrschenden Medien passt oder nicht, wir können es auch als parteiinternes Aufgabenprogramm verstehen und umsetzen. Wollen wir Ende der laufenden Parlamentsperiode ein deutlich aufgehellteres Bild erhalten, muss der neue Parteivorstand zügig an die Umsetzung der beschlossenen Aufgaben gehen.
Die antikapitalistischen Strömungen und Tendenzen in und außerhalb der Partei stimmen überraschenderweise dem Tenor der Stabilisierung der Partei seit Göttingen zu. Allerdings wird hier betont, dass diese Konsolidierung mit einer Linksverschiebung einher gegangen ist. Das eindeutige Zeichen für eine Stärkung des linken Flügels sei, dass die klare Antikriegsposition an Einfluss gewonnen habe. Die LINKE ist und bleibt die Antikriegs- und Friedenspartei im Deutschen Bundestag und auf der Straße.
Aus seiner Enttäuschung über einige Wahlentscheidungen des Parteitages macht das „Forum demokratischer Sozialismus (FDS) keinen Hehl, wenn es in einer ersten Erklärung bedauert, dass seine personellen Vorschläge für den Parteivorstand „nicht angenommen“ worden seien.
Auch nicht verschwiegen werden kann, dass in der „Jungen Welt“ Andreas Wehr entgegen den anderen Urteilen eine weitere Rechtsverschiebung der Partei auszumachen glaubt. Die Begründung für diese Tendenz zur Destabilisierung und Schwächung der antikapitalistischen Ausrichtung: „Riexinger wurde zwar in Göttingen als Parteilinker gewählt, doch unmittelbar danach hat er die Agenda des rechten Flügels übernommen, und die Parteilinke hat das toleriert. So attackierte er Oskar Lafontaine, als dieser es wagte, über Alternativen zum Euro für die gebeutelten EU-Staaten an der Peripherie nachzudenken. Mit ihm sei ‚Nationalismus nicht zu machen‘ verkündete Riexinger auf dem Dresdner Parteitag 2013. Im Bundestagswahlkampf verging kaum eine Woche, in der er nicht über mögliche Bündnisse mit SPD und Grünen schwadronierte.“
Mich überzeugt diese These einer Rechtsverschiebung im innerparteilichen Kräfteverhältnis nicht. Ich teile die Position, dass ein Rückfall in nationalstaatliche Positionen und Prioritäten auch in Europa keinen sozialen und politisch-demokratischen Ausweg aus den Krisenprozessen eröffnet.
Die Krise in Europa ist noch längst nicht überwunden. Aber wir haben die Chance mit einer europäischen Lösung den gravierenden ökonomischen und politischen Fehlentwicklungen entgegenzutreten. Die Europäische Linke kann eine führende Rolle bei der Entwicklung Europas spielen. Wir können eine andere europäische Entwicklung auf den Weg bringen. Dazu müssen wir die neoliberale Sparpolitik beenden und für die europäischen Völker und Länder eine neue ökonomische Logik durchsetzen, die für alle eine Chance zur eigenständigen ökonomischen Perspektive eröffnet.
Kritik an der EU ist in vielerlei Hinsicht unverzichtbar und dringend nötig. Aber ein Rückgriff auf eine nationalstaatliche Lösung hilft uns nicht weiter. Die EU ist auch nicht per se ein neoliberales Projekt. Der Grund für die in vielerlei Hinsicht falsche Politik der EU sind der Europäische Rat bzw. die ihn dominierenden Regierungen und nur in zweiter Linie eine Brüsseler Zentraladministration. Im Europäischen Rat wird die neoliberale Politik der EU geformt und beschlossen. Wer dies ändern will, der muss sich entsprechend mit der hegemonialen und jüngst auch aggressiv-dominanten Rolle einzelner neoliberal ausgerichteter Regierungen, allen voran der deutschen Bundesregierung, auseinandersetzen. Wer ein anderes Europa will, darf daher nicht zuerst gegen Brüsseler Bürokraten, sondern muss primär gegen die politischen Akteure in Berlin vorgehen.
Wir haben die Chance eine radikal veränderte Wirtschaftspolitik in Europa durchzusetzen, die die vielfältigen Besonderheiten der Ökonomien in Europa aufgreift und allen eine gemeinsame Entwicklungsperspektive eröffnet. Und wegen dieser Alternative zur Spar-und Austeritätspolitik müssen wir zwangsläufig die Institutionen, ja die ganze Grundlage der EU verändern. Das heutige Europa – der Gemeinsame Markt und die Europäische Union – wurde auf dem Fundament bestimmter Prinzipien errichtet: kein Krieg mehr in Europa, universale Menschenrechte und ein Gesellschaftsvertrag, der auf mehreren Säulen ruht: soziale Inklusion und Absicherung, ein öffentliches Bildungs- und Gesundheitswesen und eine allgemeine Daseinsvorsorge, schließlich die schrittweise Annäherung des Lebensstandards der ärmeren Regionen an das Niveau der erfolgreichsten Länder. An dieses Fundament will die europäische Linke anknüpfen und endlich ein soziales Europa verwirklichen.
… und wie jetzt weiter?
Als wieder gewählter stellvertretender Parteivorsitzender will ich mich in der nächsten Zeit für eine weitere Stabilisierung der Partei einsetzen, was eben auch die Bündelung der verschiedenen politischen Spektren und Talente bedeutet. In den kommenden zwei Jahren werden wir mit unserer Arbeit über das Schicksal unserer Partei als gesamtdeutscher Protest-, Bewegungs- und auch Gestaltungskraft entscheiden. Der schon im November letzten Jahres von den beiden Parteivorsitzenden entwickelte Vorschlag eines Zukunftskongresses sollte nun mit frischer Kraft nach den Landtagswahlen im Herbst umgesetzt werden. Bei seiner inhaltlichen Gestaltung plädiere ich für eine Ausrichtung an den konkreten gesellschaftlichen Widersprüchen. Dies heißt vor allen auch:
Für einen großen Teil der Bevölkerung ist die chronische Unterfinanzierung der Kommunen und eine zunehmende Verschärfung der Wohnsituation mit immer weniger bezahlbarem Wohnraum auch außerhalb der Metropolen eine zentrale Erfahrung von Verlust von Lebensqualität. Dabei ist das gesamte Umfeld der öffentlichen Daseinsvorsorge – von kompetenten und transparenten kommunalen Unternehmen bis zur guten Qualität aller kommunalen Angebote – entscheidend für die Lebensqualität von Bürgerinnen und Bürgern und den spürbaren sozialen Ausgleich.
Die Zurückdrängung oder gar Überwindung des neoliberal entfesselten Kapitalismus ist ohne ein breites gesellschaftlich-politisches Bündnis – unter Beteiligung der Sozialdemokratie und Teilen des grünen Spektrums – nicht zu haben, auch wenn an der selbstkritischen Korrektur der strategischen Option der Sozialdemokratie zurecht Zweifel bestehen. Unsere Alternativen einer strategischen Ausrichtung dürfen nicht eingleisig, reduziert und möglichst simpel ausfallen, sondern müssen differenziert auf die gesellschaftlichen Konflikte eingehen. Dazu gehört auch eine linke Alternative zum Länderfinanzausgleich. Aus LINKER Sicht muss der Kern des Länderfinanzausgleichs ein sozialer und solidarischer Föderalismus sein. Die derzeitige Situation, dass sich Bundesländer vor allem als Konkurrenten betrachten, muss beendet werden.
Linke Alternativen einer strategischen Ausrichtung müssen differenziert auf die gesellschaftlichen Konflikte eingehen. Damit verbunden ist die Frage, wie DIE LINKE ihre systemkritische Sicht auf die anhaltende Krise des Finanzmarktkapitalismus in einen größeren politischen Einfluss umsetzen kann.
Wir brauchen eine progressive Besteuerung aller Kapital- und Vermögenseinkommen und wir müssen neben der Kontrolle von Finanztransaktionen auch eine entsprechende Besteuerung durchsetzen. Vor allem müssen wir einen neuen Modus der Investitionen und der gesellschaftlichen Steuerung der Ökonomie erreichen. Die Privatisierung der sozialen Sicherheit muss rückgängig gemacht und alle Einkommensarten zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden.
Dabei werden wir auch nicht um die Überprüfung der Frage herumkommen, warum die Delegitimierung von Elementen sozialer Sicherheit (Rente, Krankenversicherung) so stark werden konnte. Ein einfaches Zurück wird es auch hier nicht geben können. Deshalb muss die Dialog- und Kooperationsfähigkeit zwischen der politischen Linken, zivilgesellschaftlichen Gruppen und den Gewerkschaften verstärkt werden.