Blockupy in der nächsten Runde
Von Sophie Freikamp
Unsere Autorin verbringt ein Wochenende mit rund 400 linken Kritiker_innen der europäischen Krisenpolitik. Troika, Austerität und europäische Krise – ein Blick hinter die Kulissen des „Frankfurt Blockupy Festivals“
Es ist Freitagmorgen im grauen November, ich stehe auf einem Parkplatz in Berlin, bin früh aufgestanden, durch nasse Kälte getrottet und fixiere jetzt einen großen knallrot beklebten Bus. Hier werde ich die nächsten sieben Stunden sitzen und weit in den Südwesten Deutschlands fahren. Frankfurt am Main ist mein Ziel – das „Blockupy Festival“. Zusammen mit Aktivist_innen aus ganz Europa werde ich mein Wochenende verbringen, ihren Diskussionen lauschen, mit ihnen sprechen, trinken, lachen und tanzen. Ich fahre mit Abgeordneten und MitarbeiterInnen der LINKEN im Bundestag und ihrem großen roten Fraktionsbus und folge ihnen zu ihrem Stand, der „Fraktion vor Ort"–Veranstaltung und ihren Debatten mit außerparlamentarischen, bewegungsorientierten Linksaktivist_innen sowie Vertreter_innen anderer europäischer Linksparteien, zum Beispiel der griechischen „Syriza“ oder der dänischen „Red Green Alliance“. Soweit der Plan.
„Blockupy“ ist natürlich in diesem Herbst nicht einfach plötzlich vom Himmel gefallen, sondern ist ein Termin mit Tradition. Im Frühjahr 2012 und 2013 fanden bereits Aktionen in Frankfurt am Main statt. Um gegen die europäische Krisenpolitik zu protestieren, wurde versucht, den Geschäftsbetrieb im Bankenviertel zu stören. Es wurde demonstriert, blockiert, es wurden Zelte und Bühnen in der Innenstadt aufgebaut, dort gab es öffentliche Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen und Vernetzungstreffen von europäischen Linken. Tausende Menschen kamen nach Frankfurt um ein Zeichen gegen Schuldenbremse, Demokratie und Sozialabbau in Südeuropa, aber auch bei uns in Deutschland, zu setzen und ihren Unmut über die neoliberale Krisenlösung auszudrücken.
Dieses Jahr im Mai einigte sich das Blockupy-Bündnis auf dezentrale Aktionstage - in Berlin, Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf. Das Bündnis arbeitet seit Jahren bundesweit, in Kontakt und Vernetzung mit europäischen Bündnissen und ist inzwischen in vielen Ländern Europas bekannt. Das Blockupy Festival jetzt im grauen Novemberherbst 2014 verspricht also einerseits ein großes Vernetzungs- und Diskussionsforum der europäischen Linken zu werden und ist andererseits die Vorbereitung für die Proteste gegen die Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main.
Die viele Zeit, die mir die Busfahrt schenkt, nutze ich nicht nur, um die Geschichte der Blockupy-Proteste Revue passieren zu lassen, sondern auch, um das Programm für das Festival genauer zu studieren. Was haben die teilweise sehr weit gereisten Aktivisten vor? Was bewegt sie, dass sie aus Griechenland, Schweden, Frankreich, England nach Frankfurt am Main eilen?
Das Programm verrät mir mit seinem Titel „Come down from the balcony//#talk #dance #act“ („Komm‘ runter vom Balkon//#sprecht #tanzt #handelt“), dass es um die konkrete Einmischung in die europäische Politik geht. Jetzt wird nicht mehr zugeschaut, jetzt wird „gemacht“. Und die Aktivisten sprechen und handeln nicht nur, sondern werden auch tanzen und fröhlich sein. Schön! Am Samstag, 22. November wird außerdem eine Demo geben, den „Marsch zur neuen EZB“-Zentrale“, der Untertitel dieser Aktion: „Wir helfen beim Umzug“. Das zentrale Ziel des Wochenendes bleibt aber offensichtlich die Diskussion und Vernetzung: Workshops, Workshops, Workshops und Arbeitsgruppentreffen am Freitag, große Plena, eine große Podiumsdiskussion von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Abends Barabend mit allen Aktivisten. Samstags Workshops und Demo, abends Party – hier findet also das versprochene Tanzen statt. Sonntag werden die Ergebnisse aus den Workshops vorgestellt und es findet das abschließende Asamblea statt. Die LINKE im Bundestag ist mittendrin: Die Mitarbeiter_innen der „Kontakstelle für soziale Bewegungen“ arbeiten seit Jahren im Blockupy-Bündnis mit, und auch dieses Jahr wird es neben Infoständen, Workshop- und Demoteilnahme auch eine Veranstaltung der Fraktion geben.
Freitag, 21. November
Es ist später Nachmittag, als die kleine Gruppe aus Mitarbeitern und Mitarbeiter_innen der Fraktion DIE LINKE und mir am „Haus der Jugend“ in Frankfurt ankommt. Hier wird es um 20 Uhr, in ein paar Stunden, eine große Diskussion geben, organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die erste Überraschung erleben wir schon jetzt: Nie hätten wir gedacht, dass uns bereits 400 Aktive aus ganz Europa erwarten. Es ist voll! Es sind viel mehr Menschen gekommen als erwartet. Und so viele aus dem europäischen Ausland! Die Debatten sind bereits in vollem Gange und wir hören eine Menge Englisch, begrüßen Bekannte, Freunde und Mitstreiter_innen im politischen Kampf um ein gerechtes Europa.
Schnell bauen wir einen Infostand auf, führen Gespräche und verteilen Informationsmaterial. Die Stimmung ist sehr herzlich, interessiert. Die Zeit verfliegt und schon beginnt die Debatte “Sieben Jahre Krise in Europa – Kontroverse Erklärungen und Perspektiven” mit Ulrike Herrmann, Autorin und taz-Journalistin, und Jannis Milios, Parlamentsabgeordneter für Syriza und Professor für Politische Ökonomie an der Technischen Universität in Athen. Sie findet in einem Hörsaal statt, der aufgrund des überaus großen Interesses aus allen Nähten platzt. Begonnen wird nicht sofort mit der Diskussion, denn als besonderes Geschenk des Abends gibt es endlich den offiziellen Termin der EZB-Eröffnung. Jetzt ist klar: Am 18. März 2015 ist es soweit! Auch selbstverständlich: Schon jetzt am Wochenende gehen die Vorbereitungen für die feierliche Eröffnungsstörung los.
Die beiden Experten diskutieren kontrovers und ausführlich über die Architektur der inzwischen bereits fünf Jahre andauernden schweren Krise in Europa. Sie erklären die ökonomischen Eckdaten und lassen sich danach auf eine lange Debatte mit den angereisten Aktivist_innen ein.
Am späten Abend finden sich viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen in einer Bar namens „horst“ ein und bei Bier, Wein und in aufgelockerter Atmosphäre kommt es zu spannenden Gesprächen. Die vielen Gesichter werden vertrauter.
Samstag, 22. November
Eine kurze Nacht liegt hinter mir und ein langer, action-geladener Tag vor mir. Die „Fraktion vor Ort“-Veranstaltung der LINKEN im Bundestag steht an und danach die große Demonstration zum EZB-Gebäude. Ein Blick aus dem Fenster verspricht Wunderbares: Sonne an diesem Tag, der größtenteils draußen stattfinden wird. Ich mummel mich in gefühlte 20 Schichten ein und mache mich auf dem Weg zum knallroten Bus, der uns zum Studierendenhaus der Universität in Frankfurt bringt. Dort finden die nächsten beiden Tage größtenteils statt: mehrtägige Arbeitsgruppen, inhaltliche und aktivistische Workshops und Veranstaltungen von politischen Akteuren.
Um 10 Uhr wird es dann ernst für uns: Viele Mitarbeiter_innen der Fraktion haben telefoniert, E-mails geschrieben und geplant. Jetzt füllt sich der Saal und die Veranstaltung „Von der Troika zu TTIP? Wie können wir die Auseinandersetzungen von Blockupy mit denen gegen TTIP/TiSA/ CETA produktiv verknüpfen?“ findet endlich statt.Es diskutieren Alexis Passadakis vom „Seattle to Brussels Network“, „ttip-unfairhandelbar“, Roland Süß von attac/Blockupy, Michael Ehrhardt, stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE. Hessen und erster Bevollmächtigter der IG Metall Frankfurt/M., die Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Sabine Leidig. Moderiert wird das Ganze von Nicole Gohlke, ebenfalls Abgeordnete. Inzwischen sind 50 Menschen zum Mitdebattieren erschienen. Und festgestellt wird: Die „Krise“ ist nicht vorbei, sondern wurde durch eine „EU-Krisenpolitik“ aus (Sozial-)Kürzungen und marktradikalen Reformen sogar verschärft. Anstatt den Kurs zu korrigieren, treibt die EU nun Kürzungs-, Wettbewerbs- und Privatisierungspolitik sowie Demokratieabbau mit Abkommen wie TTIP, CETA und TiSA aggressiv weiter voran. Es wird gefragt: Wo stehen „Anti-Krisen-Bündnisse“ und Blockupy heute? Kann aus den Protesten gegen TTIP & Co. in Deutschland eine neue kapitalismuskritische Dynamik entstehen? Wie lassen sich die Kämpfe gegen das EU-Krisenregime mit denen gegen die EU-Freihandelspolitik verbinden? Welche Rolle spielt DIE LINKE. im Bundestag dabei?
Nach einer erhellenden Debatte und vielen interessanten Publikumsbeiträgen wird zufrieden Bilanz gezogen: Blockupy und die traditionelle große Veranstaltung der Fraktion DIE LINKE während der Aktionstage – das passt gut zusammen.
An diesem Wochenende folgt ein Highlight dem nächsten, und so machen wir uns im Anschluss an die Veranstaltung sofort auf den Weg in die Innenstadt: Jetzt wird es aktionistisch, die Demonstration zur EZB-Zentrale steht an. DIE LINKE ist mit eigenem Block dabei, einige Abgeordnete engagieren sich außerdem als parlamentarische Beobachterinnen und Beobachter. Ungefähr 2000 Menschen haben sich zu einem bunten Demonstrationszug formiert. Erneut: viel mehr als angenommen! Sie schwenken Fahnen, tragen selbstgemalte Schilder und rufen Parolen. Musiker_innen in bunten Kostümen tragen zum fröhlichen Charakter der Demo bei. Besonderes Gimmick: leere Umzugskartons. Das Bündnis Blockupy erklärt das so: „Wir machen selbst einen Umzug zur neuen EZB und bringen ihr – in und mit zahlreichen Umzugskartons – all das zurück, was auf den Müllhaufen der Geschichte gehört. Denn wir brauchen weder rassistische und sexistische Spaltung, Verelendung, Privatisierung öffentlicher Gelder und Güter noch Kriege zur Ressourcensicherung – diesen Müll bringen wir zurück.“
Friedlich, laut und kollektiv fröhlich tanzend geht es zum neu gebauten EZB-Turm. Dort werden die Kartons abgelegt und einige hundert besonders entschlossene Aktivisten schaffen das Unerwartete: Sie klettern blitzschnell über den Zaun der Zentrale und erreichen das Gebäude, bevor die Polizei reagieren kann. Sie verschönern den neuen hohen Turm mit Farbe und bleiben sonst sehr friedlich, aber bestimmt in ihrer Forderung: Statt Milliardenbeträge für EZB-Neubauten oder Rettungspakete auszugeben, müssen Sozialkürzungen, Jugendarmut und Obdachlosigkeit in den strauchelnden europäischen Südstaaten bekämpft werden. „Wir kommen wieder!“ ist die geschlossene Losung. Am 18. März nächsten Jahres, zur höchst offiziellen, feierlichen Eröffnung des Bankgebäudes, sind wir wieder da und wir werden noch mehr Menschen und noch lauter sein als heute. Ungestört werdet ihr nicht feiern können.
Die Demonstration war ein großer Erfolg. Diesen Moment zu feiern und den Tagesordnungspunkt „#dance“ aus dem Programm abzuarbeiten, gelingt dann am Abend, in der Nacht und den frühen Morgenstunden bei der großen, wilden, ausgelassenen Blockupy-Party.
Am Sonntag, den 23. November,
stehen wir noch ein paar Stunden am Infostand in der Uni. Ich blicke in müde, zufriedene und entschlossene Gesichter. Ein anstrengendes, aufregendes und erkenntnisreiches Wochenende liegt hinter mir. Wir sehen uns alle im März wieder und wir wissen schon jetzt: Das wird groß. Ein paar letzte Gespräche und Umarmungen, die Teilnahme am Abschlussplenum und dann schleppt sich das erschöpft-zufriedene Grüppchen in den unverändert knallrot leuchtenden Bus und fährt durch den grauen Novembernachmittag zurück nach Berlin.
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