"CDU trägt mit ihrer Politik Verantwortung für Frustration und auch für Rassismus"
Erwiderung von Rico Gebhardt, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, auf die Fachregierungserklärung von Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) zum Thema "Unsere Freiheit braucht Sicherheit"
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
aus unserer Sicht hätte vor mir der Ministerpräsident reden müssen. Denn es kann doch heute nicht allein um das Versammlungsverbot vom 19. Januar dieses Jahres gehen. Wir reden eigentlich über einen der größten gesellschaftspolitischen Konflikte, den der Freistaat in seiner jüngsten Geschichte zu bewältigen hat.
Meine Herren an der Spitze der sächsischen CDU, Ihre erprobte Methode des Abmoderierens aller Konflikte durch Brandmarkung externer Schuldiger – ob es nun um Landesbank-Crash, die Sachsensumpf-Affäre oder die NSU-Mordserie gegangen ist – funktioniert in der PEGIDA-Krise nicht mehr.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU, tragen mit Ihrer Politik die Verantwortung für die Ursachen der Eskalation der Frustration, ja, und teilweise auch der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus, die wir derzeit hierzulande erleben.
Denn wir erinnern uns an Ihre ewige Debatte um den Extremismus, mit dem expliziten Standpunkt der sächsischen CDU, dass der Linksextremismus eine ebenso große Gefahr für die Demokratie darstellt, obwohl in Sachsen Morde und schwere Straftaten gegen Leib und Leben von rechts ausgingen.
Höhepunkt war die Einführung der Extremismusklausel, damit wurde ein Generalverdacht gegenüber allen ausgesprochen, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sowie für demokratische Kultur in diesem Land einsetzten wollen.
Es war ja auch besonders Sachsen, wo die sogenannte „akzeptierende Jugendarbeit“ gerade im ländlichen Raum gepflegt wurde, als faktische staatliche Beihilfe zu Nazi-Strukturen. Gerechtfertigt von der Pauschalbehauptung des damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus.
Hinzu kam speziell in Dresden die jahrelange, historisch nachweislich falsche Pflege eines Opfermythos. Hinter der Fassade des „stillen Gedenkens“ wurde insbesondere von der CDU eine einseitige Erinnerungskultur verteidigt, an die Nazis mit ihrem europaweit größten Aufmarsch mühelos anknüpfen konnten. Jahrelang wurde jede Kritik daran verfemt.
Die Stadt und die CDU-Regierung haben erst mit absurden Begründungen reagiert – „die Chaoten stören unser stilles Gedenken“, damit waren aber nicht die Neonazis gemeint, sondern die Gegendemonstranten. Und dann mit einem noch absurderen Trennungsgebot, was in der Endkonsequenz zu den heftigen Auseinandersetzungen am 19. Februar 2011 führte.
Die zivilgesellschaftlichen Initiativen bis hin zur Antifa haben mit ihren Blockaden den Neonaziaufmärschen rund um den 13. Februar den Garaus gemacht. Zum Dank wurden sie dafür kriminalisiert – bis heute. Prominente und viele Nichtprominente.
Im Zusammenhang mit einer nicht existierenden kriminellen Vereinigung namens „Antifa-Sportgruppe“ wurden 2011 die Telefon-Daten von mehr als einer Viertelmillion Menschen abgefischt. Die politisch-juristische Verfolgung des Jenaer Jugendpfarrers Lothar König ist inzwischen Geschichte, aber nicht weniger skandalös. Demnächst wird sich der Ministerpräsident unseres Nachbarlandes Thüringen wegen seiner Beteiligung an den antifaschistischen Protesten vor fünf Jahren vor einem Dresdner Gericht verantworten müssen.
Interessant ist: Einen Dialog oder gar ein Dialogangebot gab es seitens der Staatsregierung nicht, wie jetzt mit den Protestierenden der PEGIDA. Einer Bewegung, die die giftige Frucht Ihrer spezifisch sächsischen und Dresdner CDU-Politik ist.
Ihre Parteifreunde aus anderen Bundesländern wenden sich längst ab mit Grausen. CDU-Bundesvize Armin Laschet ermahnt seine sächsischen Parteifreunde, dass Sachsen zu Deutschland gehört.
Wir alle dachten: Schlimmer geht’s nimmer. Doch dann kam dieser Montag mit einem Geheimgespräch des Innenministers an unbekanntem Ort, aber mit einer ministeriellen Verkündigung danach.
Herr Ulbig, beim Blick auf Ihre Amtsführung fragen sich viele: Sprechen Sie noch als hauptamtlicher Innenminister oder als ehrenamtlicher stellvertretender Pressesprecher von PEGIDA?
Herr Ulbig, Sie waren ja sogar bereit, sich mit Herrn Bachmann zu treffen, der Flüchtlinge als „Viehzeug“ bezeichnet hat. Davor wurden Sie, wurde Sachsen nur durch den Rücktritt von Herrn Bachmann bewahrt.
Daraus kann ich nur schlussfolgern, dass mit dem Beginn Ihrer OB-Kandidatur in Dresden alle Ihre politischen Sicherungen durchgebrannt sind. Entsprechend durchgeknallt ist Ihre Sicherheitspolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nun hat sich die Spitze der sächsischen CDU ja offenbar kollektiv in eine Parallelgesellschaft begeben.
Herr Ministerpräsident Tillich teilt im Widerspruch zu Aussagen der Bundeskanzlerin mit, dass es zwar Muslime in Sachsen gibt, aber keinen Islam.
Was ähnlich irre ist, als würde ich sagen: Herr Tillich mag zwar praktizierender Katholik sein, aber der Katholizismus gehört nicht zu Sachsen.
Sie, meine Damen und Herren der Staatsregierung, haben uns diese Fachregierungserklärung mit dem fundamentalistischen Ausruf „Freiheit braucht Sicherheit“ beschert.
Also müssen wir mit fundamentaler Aufklärung in die Debatte reingehen, denn so geht es nicht mehr weiter. Nicht nur weil ich mich um den Gesundheitszustand von Martin Dulig sorge, dem das pegidöse Treiben seines Koalitionspartners körperliche Schmerzen verursachen dürfte.
Ich sage:
Freiheit braucht – Mut!
Freiheit braucht – Zivilcourage!
Freiheit braucht – Gesicht zeigen!
Freiheit braucht – Widerspruch!
Freiheit braucht – Andersdenkende!
Freiheit braucht - Anderslebende!
Freiheit braucht – Andersaussehende!
Das ist meine Lehre aus dem gescheiterten Versuch in der DDR, eine Alternative zum Kapitalismus aufzubauen.
Und eine hundertprozentige Sicherheit in einer offenen Gesellschaft aber kann es nie geben.
Ja, wir vertrauen der Polizei, professionell auch unter schwierigen Bedingungen 99,x prozentige Sicherheit zu schaffen.
Die Allgemeinverfügung der Polizeidirektion Dresden mit 24-stündigem Totalverbot aller Versammlungen unter freiem Himmel in der Landeshauptstadt am 19. Januar war ein beispielloser antidemokratischer Sündenfall, da helfen alle Ihre Erklärungsmuster, die Sie uns gerade gegeben haben, Herr Innenminister, nicht.
Die auf der Sondersitzung des Landtagsinnenausschusses nachträglich aufgezählten Pseudo-Argumente waren sämtlich an den Haaren herbeigezogen. Damit könnte man jederzeit überall die Demonstrationsfreiheit beerdigen. Auch in diesem Fall war die Bundesregierung erschrocken, und aus der Bundeshauptstadt ward kundgetan: Notfalls müsse die Bundespolizei die Versammlungsfreiheit retten – auch in Sachsen.
Nun ist man ja in Dresden eine Menge Unverhältnismäßigkeiten in Sicherheitssachen gewohnt. Ich will mal erinnern: So wurde im Jahr 2006 ein dreijähriges Kind von zwei Polizeibeamten aus dem Kindergarten entführt, um so an seine angolanische Mutter heranzukommen, die abgeschoben werden sollte. Die Ausländerbeauftragte sprach von „Geiselhaft“.
Ein Jahr später wurde vom Justizministerium bestätigt, dass Dresdner Rechtsextreme in den Besitz von Polizei-Videos und Fotos von Antifaschisten gekommen waren.
Vom Jahr 2011 sprach ich schon. Vor einem halben Jahr geleitete eine Polizeieskorte 40 Neonazis in den Sächsischen Landtag, während Gegendemonstranten mit Schlagstock und Pfefferspray „bearbeitet“ wurden.
Die Angst vor Imageschäden war so groß, dass man lieber in Städten und Gemeinden schwieg wenn braune Kameraden ihr Unwesen trieben. Auch deswegen konnte sich die Skinheads Sächsische Schweiz entwickeln, konnte der Sturm 34 im Raum Mittweida sein Unwesen treiben, bevor ihm nach jahrelangen Debatten und Straftaten das Handwerk gelegt worden ist. Oder denken wir an Limbach -Oberfrohna, wo Menschen, die auf das Problem des Wegschauens, des Nichts-Tun gegen Menschenfeindlichkeit und die rechte Gewalt verwiesen, stigmatisiert worden sind.
Und immer waren es CDU-Funktionäre, CDU-Mandatsträger, die die Verantwortung trugen.
Streicheleinheiten nach rechts, Schläge nach links, das ist die Politik der CDU Sachsen.
Herr Ulbig, am Tag eines bürgerschaftlich organisierten Kultur-Großereignisses im Namen der Weltoffenheit vor der Dresdner Frauenkirche treffen Sie sich also mit den Oberstrategen für Volksverhetzung an der Spitze von PEGIDA.
Sie empfahlen sich PEGIDA bereits zuvor mit einer Polizei-Sondereinheit gegen kriminelle Asylbewerber, auch wenn sich der Dresdner Polizeipräsident ob dieses Unfugs öffentlich an den Kopf griff. Aber es ging ja nicht um Statistik, nicht um Fakten, sondern um das parteipolitische Abernten diffuser Ängste.
Sie und Frau Oertel von PEGIDA passen wirklich perfekt zusammen – bei der psychologischen Kriegsführung zum Thema innere Sicherheit passt kein Blatt Papier zwischen Sie, da kann noch nicht mal die AfD mit Frau Petry Schritt halten .
Herr Ulbig, Sie verstehen PEGIDA. Aber Sie verstehen nicht die Flüchtlinge, die sich abends nicht mehr aus dem Haus trauen. Sie machen die PR für PEGIDA gleich mit und erklären im Zuge des totalen Versammlungsverbotes auch alle Gegenveranstaltungen zu bedrohten Zonen, als könnte sich der Ober-Rassist Lutz Bachmann plötzlich inmitten einer Veranstaltung von „Dresden nazifrei“ finden. Wie absurd!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nun will, die sächsische Staats- und Regierungspartei CDU mit Kritikern plötzlich einen Dialog führen.
Aber es waren doch Sie, die eine politische Kultur des Anhörens der Argumente des anderen in Sachsen konsequent erstickten.
Da wurden hier im Landtag und draußen vor demonstrierenden Lehrer/innen, Polizisten, Eltern und Schülerinnen und Schülern Millionen Einsparungen im Landeshaushalt als alternativlos dargestellt.
Da wurden Gelder in der Jugendhilfe gestrichen.
Da wurde eine Polizeireform durchgeführt, die eine Stellenstreichungsorgie ist.
Da wird die Lehrerschaft auf Verschleiß gefahren.
Und immer wurde das als alternativlos dargestellt, und am Ende des Haushaltsjahres erfreuten Sie sich der Millionenüberschüsse.
Keine Kommunikation, aber umso mehr Schikanen, viele Jahre auch beim Thema Asyl.
Massenunterkünfte, Residenzpflicht, Wertmarken statt Selbstversorgung – das war Ihre Linie.
Erst vor wenigen Wochen wurde im letzten Landkreis die Versorgung der Asylsuchenden mit Wertmarken abgeschafft.
In keinem Bundesland gibt es so viele private Betreiber von Flüchtlingsunterkünften wie in Sachsen, ganz im Gegensatz zu Bayern.
Jetzt gibt es Asylgipfel, und es wurde vor wenigen Tagen den Bürgermeister_innen rechtzeitige Kommunikation versprochen.
Aber erst am vergangenen Freitag wurde wieder genau das Gegenteil gemacht, es wurden 68 Flüchtlinge in die Stadt Böhlen gebracht, die Information dazu erreichte das Rathaus weniger als 24 Stunden vorher.
Herr Innenminister, Sie sollten vielleicht tatsächlich mal Ihren Job machen und nicht abstruse Gespräche führen.
Erinnern wir uns an Schneeberg vor einem Jahr?
Allgemeine Überraschung, wie ein NPD-Gemeinderat plötzlich 3.000 Bürger/innen hinter sich versammeln konnte. Sie riefen: „Wir sind das Volk!“ Die Verantwortlichen vor Ort fühlten sich überfordert und alleine gelassen, dann gab es die Dialogangebote. Schnell wurden Politiker hingeschickt. Sie sollten den Menschen erklären, was da mit den Flüchtlingen passiert. Als Moderator wurde Frank Richter geholt. Es gab Gegenproteste, jede Menge Polizei, jede Menge frustriere Lokalpolitiker/innen.
Dann folgten die Versprechungen der Politik und der Verwaltung, es kommen nur so und so viele Flüchtlinge in die Außenstelle der Erstaufnahmestelle. Heute ist die Zahl längst um einige Hundert überschritten. An was erinnert mich dieser Vorgänge aus dem Herbst/Winter 2013/2014? Wir wundern uns über die Demonstrationen von PEGIDA?
Sind wir als verantwortliche Politiker/innen so vergesslich?
Ich mag die Sachsen, ich bin als gebürtiger Erzgebirger gewissermaßen mit Land und Leuten befreundet. Und deshalb ein offenes Wort, jetzt nicht an die Staatsregierung, sondern an uns, die einheimische Bevölkerung:
Wenn sachsenweit viele Tausende Menschen auf Einladung oder in Begleitung von Rassisten und Nazis durch die Straßen ziehen, weil Flüchtlinge in ihrer Nähe untergebracht sind, werden oder vielleicht sein werden – ob in Dresden, Bautzen, Hoyerswerda, Bad Schandau, Schneeberg oder anderswo – dann beweist das nicht, dass das alles Rassisten oder Nazis sind. Aber es beweist auf dramatische Weise:
Diese Bevölkerung fühlt sich nicht wohl, sondern ständig bedroht.
Diese Bevölkerung hat Angst und kann nicht ihre Arme öffnen.
Diese Bevölkerung empfindet sich selbst als entwurzelt – wie als Fremde im eigenen Land – übrigens auch ohne einen einzigen Fremden in der Stadt!
Daran ist auch die nicht wirklich vollzogene deutsche Einheit schuld! Weil Menschen, die sich als Menschen 2. Klasse fühlen, anfangen, das zu tun, was wir tatsächlich aus der Geschichte kennen: Sie grenzen sich von noch Schwächeren ab. Angst vor dem sozialen Abstieg oder gar Absturz kann leider auch irrationale Reaktionen hervorrufen.
Das kann und darf nie eine Rechtfertigung oder gar Entschuldigung für fragwürdiges bzw. sogar grob inhumanes Handeln sein. Aber ich erwarte auch vom Spitzenpersonal der in Sachsen dauerregierenden CDU zu verstehen: All dies hat etwas mit ihrer Politik zu tun: mit Niedriglöhnen, mit prekären Beschäftigungsverhältnissen und mit der massenhaften Armut Alleinerziehender. Und dafür sind diejenigen verantwortlich, die sich sonst so gerne ihrer Regierungsverantwortung brüsten und nun plötzlich so tun, als hätten sie mit dieser sächsischen Zivilisationskrise nichts zu tun.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat aber auch etwas mit Werten zu tun, die in einem erbärmlichen Zustand sind. Dieses Land wird seit fast einem Vierteljahrhundert von einer Partei regiert, die das Christentum im Namen führt. Ich habe als Erzgebirger mit dem Christlichen in unserer Kultur kein Problem. Ich bin zwar kein Christ. Ich bin aber auch kein Antichrist, sondern einfach nur ungläubig.
Allerdings, ich glaube an einen einzigen Satz, und der heißt:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Also Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes.
Dieser Satz gilt für die alleinerziehende, erwerbslose Mutter in Schneeberg ebenso wie für die syrische Bürgerkriegsfamilie und ist nicht verhandelbar. Die Basis unseres Zusammenlebens in Sachsen sind weder Bibelzitate noch Koransuren, sondern Artikel 1, Absatz 1 Grundgesetz.
Wer das akzeptiert, möge nach freien Stücken zum Gebet gen Mekka schauen oder morgens vor dem Frühstück über den Herrnhuter Losungen meditieren.
Wofür ich aber überhaupt nicht zu haben bin, ist, und da bin ich ganz bei Herbert Grönemeyer vom Montagabend, dass man sich als Zielscheibe und Projektion für eigene Ängste, die man hat, plötzlich wieder eine Religion aussucht. Das hatten wir schon mal in Deutschland. Und das dürfen wir nie wieder zulassen. Und deswegen müssen sich alle demokratischen Kräfte einer Bewegung in den Weg stellen, die genau das tut.
Und nie wieder wollen wir es erleben, dass mit dem Argument „Sicherheit“ die „Freiheit“ beerdigt wird. Wehren wir also den Anfängen!
Glück auf!
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