Schluss mit dem neoliberalen Sparkurs

Von Axel Troost

15.05.2015 / 15.05.2015

Es war zu erwarten: Die seit Ende Januar 2015 andauernden Verhandlungen zwischen der Linksregierung und den Gläubigern haben keinen Verhandlungsdurchbruch geschafft. Im Gegenteil: Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem hat zuletzt den Druck erhöht. Er wiederholte, dass ohne einen Reform-Kompromiss ausstehende Milliardenhilfen nicht ausgezahlt werden können. Es seien im Streit über ein Reformpaket zwar Fortschritte erzielt, aber dicke Brocken müssen noch beiseite geräumt werden.

Die Finanzminister der Euro-Zone (Euro-Gruppe) drängen Griechenland, in den Verhandlungen mit Experten der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) – den „Institutionen“ – über ein Reformpaket endlich die Grundlagen des vor Jahren abgeschlossenen Hilfspakets anzuerkennen. Solange keine Einigung über das Reformpaket erzielt worden ist, könnten die noch ausstehenden Hilfsgeldern von insgesamt 7,2 Mrd. Euro. nicht freigegeben werden.

Die Euro-Gruppe will über die mögliche Auszahlung von Geldern entscheiden, sobald auf Expertenebene in der „Brussels Group“ eine Vereinbarung über den Abschluss der Überprüfung erzielt worden ist. Laut früheren Angaben aus Euro-Kreisen muss eine solche Einigung spätestens Anfang Juni erfolgen, damit noch alle weiteren Verfahrensschritte rechtzeitig vor Monatsende unter Dach gebracht werden können.

Der massive Zeitdruck basiert zum einen darauf, dass der europäische Teil des Hilfsprogramms Ende Juni ersatzlos ausläuft, wenn bis dahin nichts entschieden wird. Zum andern verschlechtert sich die Lage der öffentlichen Finanzen in Griechenland erheblich. Die Gründe: das Wirtschaftswachstum war schon im letzten Quartal erneut in den negativen Bereich gedreht. Seit Anfang des Jahres führen die wirtschaftlichen Tendenzen der Globalökonomie und der Euro-Zone erneut zu eine Abschwächung. Die anhaltende Kapitalflucht schädigen Ökonomie und öffentliche Finanzen zusätzlich. Einziger Lichtblick: die EZB hat trotz großem Widerstand eine weitere Ausweitung des Kreditrahmens für die Notkredite der Zentralbank beschlossen. „Wir brauchen so schnell wie möglich eine Vereinbarung, bevor Dinge schieflaufen“, fasste Euro-Gruppenchef Dijsselbloem zusammen. Zudem wiederholte er: eigentlich braucht Griechenland eine Anschlussregelung für die Zeit nach Juni. Die griechische Ökonomie könnte vermutlich noch immer nicht aus eigener Kraft die Rekonstruktion des gesellschaftlichen Gesamtreproduktionsprozesses bewältigen. Aus politischen und substanziellen Gründen wolle die Euro-Gruppe über eine solche Anschlussphase erst verhandeln, wenn man sich über eine ordentliche Beendigung des jetzigen Programm einig sei.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) betont seine skeptische Haltung, es gäbe weiter nur wenig inhaltliche Fortschritte. „Man wird nie aufhören zu reden - aber die Zeit läuft aus“, warnte er. Es gehe ausdrücklich nicht darum, Programme neu zu verhandeln, sondern das vereinbarte Memorandum zu erfüllen. Es gebe „substanziell nicht sehr viel Neues“ und es hat sich „wenig bewegt“. Nach der Wahl in Griechenland habe sich leider vieles sogar in die falsche Richtung bewegt. Schäuble mahnt Fortschritte in Bereichen wie der Reform des Rentensystems und des Arbeitsmarktes, Strukturreformen und eine Reduzierung der Verwaltungskosten an. In diesen Fragen sei „die Bewegung sehr gering, um es freundlich zu sagen“.

Ein dicker Brocken, der aus Sicht der Euro-Group noch weggeräumt werden muss, ist die Weigerung der griechischen Regierung, einer weiteren Deregulierung des Arbeitsmarktes zuzustimmen. Der „dickste Brocken“: In den letzten sechs Jahren geht der politische Konflikt mit den internationalen Kreditgebern um die Kernfrage der makroökonomischen Rahmenbedingungen: Wie kommt das Land zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik, die eine Ökonomie erlauben ohne massive Arbeitslosigkeit, große und wachsende Verarmung der Bevölkerung und mit einer einigermaßen akzeptablen gesundheitlichen Versorgung. Während der letzten fünf Jahre ist die Allianz zwischen der politischen Elite Griechenlands und den internationalen Institutionen der Lösung des Problems nicht wirklich näher gekommen.

Bleibt der Trend zur Schrumpfung oder Stagnation der griechischen Ökonomie erhalten, wird es immer schwieriger die Kredite der Gläubiger mit den vorgesehenen Zins- und Tilgungsraten zu bedienen. Eigentlich müssten alle Beteiligten ein Interesse an der Stabilisierung der Ökonomie haben.

Stattdessen besteht die Troika beinhart auf der Weiterführung des alten Kurses und verweisen immer wieder darauf , dass der harte Austeritätskurs ja Ländern wie Portugal und Irland wieder auf die Beine geholfen habe. Eine nähere Betrachtung Portugals zeigt, dass diese Erfolgsmeldungen eines neoliberalen Sanierungskurses keineswegs überzeugend sind.

Angesichts der sich in Abwärtsbewegung befindenden griechischen Wirtschaft sieht sich die Linksregierung gezwungen, erhebliche Abstriche am Wahlprogramm und den Vorstellungen zu Bewältigung der humanitären Krise zu vollziehen und damit der Euro-Group entgegen zu kommen. Das sind u.a.:

  • Renten: Die Absicht der Linksregierung, für die niedrigsten Renten eine 13. Rente auszuzahlen, kann absehbar nicht umgesetzt werden, da die Rentenkassen defizitär sind. Der Staat kann die nötigen Subventionen nicht aufbringen. Die Troika besteht auf weiteren Kürzungen bei den Rentenzahlungen. Die Regierung unterliegt aber auch einem innenpolitischen Druck, den gegen die bisherigen Rentenkürzungen gibt es Rechtsklagen.
  • Mindestlohn: Der allgemeine Mindestlohn wird nicht sofort erhöht, vielmehr soll die Erhöhung etappenweise bis Ende 2016 erfolgen, und zwar in Absprache mit Gewerkschaften und Arbeitgebern. Außerdem soll aber die Deregulierung fortgesetzt werden. Die Rückkehr zu Flächentarifen sei ein Rückschritt.
  • Steuern:Eine kurzfristige Entlastung für niedrige Einkommensbezieher ist gleichfalls nicht umzusetzen. Streit gibt es mit den Gläubigern auch über eine Reform der Mehrwertsteuer.
  • Entlassungen im öffentlichen Sektor:Die sofortige Wiedereinstellung aller Entlassenen ist nicht erfolgt (noch nicht einmal im Fall der Putzkräfte des Finanzministeriums, die monatelang bis zum Wahlsieg der Syriza ihre alte Arbeitsstätte belagert hatten). Die Kosten der Wiedereinstellung müssen erst im einzelnen durchgerechnet und durch andere Einsparungen finanzierbar gemacht werden.
  • Privatisierungen:Die laufenden Privatisierungsverfahren wurden nicht gestoppt und die vollzogenen Privatisierungen werden nicht überprüft, wie es im Wahlprogramm vorgesehen war. Syriza ist bereit, in einzelnen Fällen weitere Privatisierungen zuzulassen.

Angesichts solcher Kompromissangebote fordert Griechenlands Premier Alexis Tsipras daher die Gläubiger auf den „politischen Willen“ für eine Einigung aufzubringen. Bringt diese den „politischen Willen“ nicht auf, nehmen sie das Scheitern der Linksregierung mit ihren Reformvorstellungen einer fiskalischen Entlastung und einem neuen Programm, das Griechenlands wirtschaftliche Entwicklung auf lange Sicht sichert, in Kauf.

Angesichts dieser Entwicklungen weiterhin auf die starre Einhaltung der Konsolidierungsprogramme zu setzen, verstärkt einen weiteren ökonomischen und sozialen Absturz Griechenland. Ein „failing state“ in Europa wäre das Ende des politischen Projektes einer gemeinsamen europäischen Zukunft. Es geht letztlich um die Auseinandersetzung über die Änderung des bisherigen zerstörerischen Austeritätskurses hin zu einer Reformpolitik mit einer Rekonstruktion der Wertschöpfung nicht nur in Griechenland sondern im gesamten Euroraum, dessen wirtschaftliche Lage durch ökonomische und soziale Spaltung charakterisiert ist. Das politische Krisenmanagement des Establishments konzentriert sich auf Spardiktate, Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen, was vor allem bei den südlichen Krisenländern zu einer wirtschaftlichen Talfahrt geführt hat.

Solange die griechische Regierung sich von einer Zahlung zur nächsten hangeln muss, solange wird eine durchgreifende Erholung der Wirtschaft ausbleiben. Angesichts der aktuellen Verschlechterung der Konjunktur muss es darum gehen, Griechenland die Mittel für eine wirtschaftliche Rekonstruktion zu zugestehen. D.h. neben den eingefrorenen Hilfstranchen von 7,2 Mrd. Euro muss eine mittelfristige Perspektive eröffnet werden, die sicherlich einen weiteren Finanzrahmen von ca. 20 Mrd. Euro umfassen wird. Mit der Fortsetzung der neoliberalen Sparpolitik bleibt die Wirtschaft und die öffentliche Infrastruktur im Würgegriff der Gläubiger.

Statt an einer zukunftsfähigen Lösung für Griechenland und ganz Europas zu arbeiten soll die demokratisch gewählte Syriza-Regierung in die Knie gezwungen werden, um durch Abschreckung einen Politikwechsel in Europa zu verhindern. Deshalb machen gerade konservative Regierungen in Ländern, die ihrer Bevölkerungen dramatische Kürzungsprogramme als alternativlos aufgezwungen haben, Front gegen jede vernünftige Lösung für Griechenland.

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Und im konservativ regierten Portugal ist alles anders?

Portugal ist dabei, „die Früchte der in den letzten Jahren verfolgten Politik zu ernten“, meint jedenfalls EZB-Präsident Mario Draghi und die IWF-Präsidentin Christine Lagarde hat beim Treffen der Finanzminister der Eurozone am 16. Februar gezielt auf den Unterschied zwischen dem „guten portugiesischen Schüler“ und dem griechischen „Krebsgeschwür“ verwiesen. Aus Sicht des portugiesischen Premierministers Passos Coelho hat Lissabon den Beweis erbracht, dass „die konventionelle Antwort auf die Krise funktioniert“. Der Wirtschaftswissenschaftler Ricardo Paes Mamede ist da anderer Meinung: „Innerhalb weniger Jahre ist unser Land stark in Rückstand geraten. Unser Bruttoinlandsprodukt ist auf das Niveau von vor zehn Jahren gefallen. Die Beschäftigung ist heute auf dem Stand von vor zwanzig Jahren. Und was die Investitionen betrifft, die das Fundament für zukünftiges Wachstum bilden, wurden wir um dreißig Jahre zurückgeworfen.“ Das zeigt sich auch in der aktuellen Emigrationswelle, die Paes Mamede mit der vor vier, fünf Jahrzehnten vergleicht, als in Portugal noch die Salazar-Diktatur (1933 bis 1974) herrschte.

Laut EU-Kommission hat Portugal zwischen 2011 und 2013 von allen europäischen Staaten die größten Einschnitte in seine Sozialsysteme vorgenommen. Ähnliches gilt für die Lohnkosten: Von 2006 bis 2012 ist die Zahl der Arbeitnehmer, die nur den Mindestlohn beziehen, von 133.000 auf 400.000 gestiegen. Das sind – bei einer Erwerbsbevölkerung von rund 5 Millionen und einer Arbeitslosenquote von fast 30 Prozent – fast 15 Prozent aller Beschäftigten. Die Regierung möchte die Arbeitskosten künftig noch weiter drücken. Die Lissaboner Wirtschaftszeitung feierte kürzlich die Nachricht, Portugal habe im dritten Quartal 2014 „den stärksten Rückgang der Arbeitskosten innerhalb der EU“ verzeichnet.

Und dennoch steigt, wie Paes Mamede anmerkt, die Verschuldung weiter an, genau wie in Griechenland. 2010 entsprach die Schuldenlast noch 96,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), 2014 erreichte sie bereits 130,2 Prozent des BIP. Mittlerweile müssen allein für Zinszahlungen 4,96 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aufgewendet werden. Das ist sogar mehr, als Griechenland (3,9 Prozent) zahlt, das dank des noch laufenden Hilfsprogramms deutlich weniger Zinsen zahlt, als Portugal für seine Staatspapiere auf den Finanzmärkten bieten muss.

In seinem jüngsten Länderbericht stellt der IWF fest, Portugal müsse angesichts seiner anhaltend hohen Staatsschulden zusätzliche fiskalische Konsolidierungsmaßnahmen einführen. Ohne diese sei der angestrebte Schuldenabbau nicht zu erreichen, zumal die Lissaboner Regierung von zu optimistischen Annahmen über die wirtschaftliche Entwicklung ausgehe. Für den Ökonomen Paes Mamede zeigt sich damit, dass das Heilmittel „entgegen den Behauptungen der Regierung nicht wirkt“.

Text ist gekürzt übernommen aus: Renaud Lambert, Warum Dublin und Lissabon keinen Tsipras haben. Aus: Le Monde diplomatique vom 7.5.2015

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