Chance auf eine lebenswerte Zukunft oder Grexit

Von Axel Troost

05.08.2015 / 15.07.2015

Die Verhandlungen und das Ergebnis zwischen der griechischen Linksregierung und den Gläubigern der Euro-Gruppe zeigten überdeutlich das vollständige Fehlen demokratischer Skrupel unter den angeblichen Verteidigern der europäischen Demokratie. Es wurde weder das Referendum der griechischen Wahlbevölkerung noch in Ansätzen die Willensbildung des Parlaments oder die griechische Souveränität respektiert. Zurecht wird der deutsche Finanzminister Schäuble als Chefstratege des Neoliberalismus ausgemacht: „Ich diskutiere das Programm nicht – es wurde von der vorhergehenden Regierung akzeptiert, und wir können es unmöglich erlauben, dass Wahlen irgendetwas ändern. Denn wir haben die ganze Zeit Wahlen, es gibt 19 von uns, wenn immer bei einer Wahl sich etwas ändern würde, dann würden die Verträge zwischen uns nichts bedeuten.“ Am Ende ging es um folgende Alternative: „Unterschreiben Sie also entweder auf der gepunkteten Linie oder Sie sind raus.“ Die Botschaft von Schäuble war stets eindeutig: „Das ist ein Pferd, entweder Sie steigen auf oder es ist tot.“

Die weitgehende Missachtung der demokratischen Kultur zeigt sich auch in der Rückkehr der Institutionen (Troika) in das Innere des griechischen Verwaltungs- und Staatsapparates. Griechenland ist für den Zeitraum des dritten Hilfsprogramms auf den Status eines Protektorats zurückgestuft. In der Erklärung des Eurogipfel heißt es: „Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird. ... Die griechische Regierung wird mit Ausnahme des Gesetzes über die humanitäre Krise die Rechtsvorschriften überprüfen, um die Rechtsvorschriften zu ändern, die im Widerspruch zu der Vereinbarung vom 20. Februar eingeführt wurden und Rückschritte gegenüber früheren Programmauflagen darstellen.“

Das erzielte Verhandlungsergebnis ist ohne jeden Zweifel ein brutales Austeritätspaket, das an jenes der willfährigen Vorgängerregierungen anknüpft, es teilweise sogar noch verschärft. Die breite Empörung über den harten Kurs der Gläubiger ist allzu berechtigt. Ich verstehe die Wut über die gnadenlose Erpressungspolitik seitens der Gläubiger und die Enttäuschungen über die nahezu aussichtslose Situation der griechischen Linkspartei und Regierung. Ich sehe daher die Berechtigung gerade der deutschen Bundesregierung und der großen Koalition mit einem verachtenden NEIN entgegenzutreten.

Richtig ist aber auch, dass unsere griechischen FreundInnen einen anderen Aspekt stark machen: die Vereinbarung eröffnet die Möglichkeit wieder auf die Beine zu kommen. Damit wird die Absicht durchkreuzt eine finanzielle Erdrosselung umzusetzen. Ein Plan, der von extrem antieuropäischen Kräften vorbereitet und dessen Realisierung bereits mit dem Ziel begonnen worden war, das Land in noch größeres Elend und aus der Eurozone zu treiben sowie ihre Vision eines völlig andersartigen Europas zu realisieren.

Es geht eben nicht um Konkursverschleppung zulasten der europäischen SteuerzahlerInnen, sondern um den Einstieg in einen demokratischen Umbau der Euro-Systems. Beabsichtigt war: durch den massiven Abzug von Bankeinlagen und zuletzt die erzwungene Schließung der Banken die griechische Gesellschaft an und in den Abgrund zu reiben. Mit der Vereinbarung sind die Kosten für die griechische Bevölkerung immens gestiegen. Laut der jüngsten Schätzung könnte das BIP 2015 um 2 bis 4% sinken, und jeder Tag, an dem die Banken geschlossen bleiben, erhöht den Schaden.

In dieser Situation hat sich das Land und seine Regierung eine Perspektive erkämpft: es sind viel größere Summen für die mittelfristige Finanzierung von den Gläubigern zugebilligt worden – vorbehaltlich der erfolgreichen Umsetzung der einzelnen Teile des Austeritätspakets. Die griechische Linksregierung hat eine Chance unter Rückgriff auf Investitionsmittel aus EU-Fonds sich auf einen Wachstumspfad zurück zu kämpfen. „Zur Unterstützung von Wachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen in Griechenland (in den kommenden 3 bis 5 Jahren) wird die Kommission eng mit der griechischen Regierung zusammenarbeiten, um bis zu 35 Mrd. Euro (im Rahmen verschiedener Programme der EU) zur Finanzierung von Investitionen und der Wirtschaftstätigkeit, einschließlich von KMU, zu mobilisieren. Die Kommission wird als eine Ausnahmemaßnahme aufgrund der einzigartigen Lage Griechenlands den Gesetzgebungsorganen der EU vorschlagen, die Höhe der Vorfinanzierung um 1 Mrd. Euro aufzustocken, um einen sofortigen Anschub für Investitionen zu geben. Auch der Investitionsplan für Europa wird Finanzierungsmöglichkeiten für Griechenland vorsehen.“

Von einem solchen Angebot hatte zwar SPD-Gabriel schon vor dem Referendum phantasiert, konkretisiert wurde es im Ergebnis der harten Verhandlungen in Brüssel auf dem Euro-Gipfel.

Ja, es gibt keine Garantie für einen Erfolg. Selbst die IMF-Ökonomen bezweifeln, dass Griechenland in den kommenden Jahren im Haushalt regelmäßig einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent erwirtschaften kann. In der Vergangenheit hätten das nur wenige Länder geschafft. Gleichwohl gibt es die Chance. Hier gilt die Erkenntnis, wer nicht kämpft hat grausam verloren. Es besteht bei allen harten Auflagen und Reglements die Chance, dass die Linksregierung ein Wachstumsprogramm auf den Weg bringen kann.

Die Vereinbarung auf dem Euro-Gipfel skizziert den Weg und den Zeitplan zu konkreten Verhandlungen. Es kann sich immer noch herausstellen, dass die Verhandlungen nicht zu einem Ende kommen. Es gibt viele politische Hindernisse und schwierige Fragen wie die so genannte Brückenfinanzierung von 12 Milliarden Euro bis zum 20. August 2015.

Offen ist auch, ob das griechische Parlament der Vereinbarung zustimmen wird und ob nicht das Linksbündnis darüber in eine Zerreißprobe gerät, und auch Neuwahlen nicht mehr aus zu schließen sind. Die Billigung im Eilverfahren ist eine Voraussetzung dafür, dass die Gläubiger überhaupt Verhandlungen mit Athen über neue Finanzhilfen aufnehmen. Es geht um bis zu 86 Milliarden Euro.

Ministerpräsident Tsipras macht sich keine Illusionen. In einem Interview erklärte er: „Ich übernehme die Verantwortung für alle Fehler, die ich möglicherweise gemacht habe, ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, den ich aber unterschrieben habe, um eine Katastrophe für mein Land abzuwenden: den Bankenkollaps“. In Zeiten der Krise gebe es keinen Raum für „ideologische Reinheit“, sagte Tsipras, dem von Seiten des linken Syriza-Flügels, aber auch von großen Teilen der europäischen Linken Kapitulation vorgeworfen wird. „Vorrang hat für mich in dieser Stunde die Billigung des Sparprogramms, damit wir das Hilfsprogramm sichern können.“ Er schließe nicht aus, dass auch die Opposition dem Programm zustimmt. Man habe bis zuletzt gekämpft. Die Vision des Wandels für Europa bleibt aufrecht, auch wenn sie gestern eine Niederlage erlitt.“ Er warnte zudem vor einer Aufgabe. „Es gibt genügend konservative Zirkel in Europa, die froh darüber wären. Machen wir ihnen diese Freude nicht.“ Dies ist eine Beschwörung, die sich vor allem an die eigene Partei richtet.

Mit dieser Vereinbarung ist zwar vorerst der von Teilen der europäischen Eliten, vor allem sehr stark aus Deutschland, geforderte Grexit (Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro) vorerst gebannt, aber nicht vom Tisch. Minister Schäuble hatte die Grexit-Option ins Spiel gebracht, „weil es viele Menschen gibt, auch in der Bundesregierung, die ziemlich viel Überzeugung haben, dass das (...) die sehr viel bessere Lösung wäre.“ Schäuble verfolgt die Option des Grexits weiter. Zu den Verhandlungen über die Brückenfinanzierung hat er den Einsatz von Schuldscheinen ins Spiel gebracht. Der Staat könnte solche Scheine ausgeben, um die Löhne seiner Beamten und Angestellten zu begleichen, die Renten zu überweisen und Lieferungen zu zahlen: eine Art Staatsanleihe, aber ohne Zinsen. So könnte die Regierung die Zeit überbrücken, die es dauert, bis sie die Reformen angestoßen hat und die Milliarden eines dritten Hilfspakets fließen. Dieser Vorschlag zur Schaffung einer zeitweisen Parallel-Währung kommt dem Beginn des Grexit gleich.

Das ernüchternde Verhandlungsergebnis ist auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses in Gesamteuropa, das deutlich nach rechts verschoben ist. Die oftmals lautstark verkündete begleitende Solidarität der europäischen und auch der deutschen Linken hat nicht ansatzweise die Kraft entwickeln können, die die Handlungsoptionen der Regierungen hätte beeinflussen können. Die griechische linke Regierung hat demnach allein agieren müssen und nun ein Ergebnis erzielt, das diesem Kräfteverhältnis entspricht. Angesichts dieser Situation die unverzichtbare Kritik an der Politik der Bundesregierung zugleich mit dem Vorwurf an die griechische Linksregierung einer „Konkursverschleppung“ zu verknüpfen, ist absurd. Die Mehrheit von Syriza betreibt keinen Konkursbetrug, sondern verfolgt die kleine, aber nicht völlig unrealistische Chance über ein Anstoßen des Wirtschaftswachstums das Austeritätsregime und den Protektoratsstatus abschütteln zu können.

Ich halte es für politisch unverantwortlich, in dieser Situation erneut einen freiwilligen, lange unvorbereiteten Grexit als Alternative oder Plan B zu propagieren.

Der griechische Ministerpräsident hat zu Recht darauf hingewiesen, die Vereinbarung sei auf Druck starker Staaten auf Griechenland zurückzuführen. Diese Art und Weise der Druckausübung „ehrt nicht die Tradition Europas“. Nun muss Syriza zusehen, aus der Situation das Beste zu machen. Denn Syriza hat alles versucht und jede Alternative ohne Syriza käme nur unter Beteiligung gruseligster Kräfte zustande. Noch in diesem Jahr werde es eine Diskussion über die Umstrukturierung des Schuldenberges sowie ein Investitionsprogramm von 35 Milliarden Euro geben. Diese Maßnahmen könnten „einen Grexit endgültig abwenden und die Voraussetzungen für Wachstum“ in Griechenland schaffen.

Man kann skeptisch sein, ob diese Chance der Linksregierung erfolgreich genutzt werden kann. In dieser Situation allein schon den Versuch als Konkursverschleppung zu denunzieren, ist ein wenig überzeugendes Manöver an die vorherrschende Stimmung gegen die griechischen Reformen andocken zu wollen. Solcher Populismus erhöht unsere Glaubwürdigkeit nicht.

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