Keine Verschärfung des Asylrechts - Für eine Politik der Vielen
ISM-Positionspapier kritisiert "Asylkompromiss"
Alle wissen es – aber sie werden wahrscheinlich wider besseres Wissen handeln: Der von der Großen Koalition und den Ministerpräsident_innen ausgehandelte „Asylkompromiss“ ist ein falscher, weil völlig unangemessener, politisch fehlgeleiteter und rückschrittlicher Versuch, die gescheiterte Flüchtlingspolitik der letzten Jahre unter neuen Bedingungen fortzusetzen. Deswegen fordern wir all jene, die darüber entscheiden werden, auf, diese Vereinbarung nicht wirksam werden zu lassen! Insbesondere fordern wir die Amts- und Mandatsträger_innen der SPD, der Grünen und der Linken auf, das Konzept der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten abzulehnen. Auch Verschlechterungen in der Versorgung und Unterstützung der Geflüchteten sind völlig inakzeptabel.
Der Zaun, der Europa nach außen abschirmt, und die bürokratischen Mauern, die seine inneren Grenzen bestimmen, wurden von den Flüchtenden überwunden – und das nicht nur symbolisch. Den hilflosen und unvorbereiteten politischen Institutionen traten unzählige Menschen zur Seite und empfingen die von Hunger, Krieg, Armut und Perspektivlosigkeit Verfolgten mit Beifall, Solidarität, Kleidung, Mahlzeiten, Sprachunterricht und vielem mehr. In dieser gesellschaftlichen Lage und in dieser Bewegung, in Gang gebracht von den Flüchtenden selbst und erwidert von einem breiten Teil der europäischen und deutschen Zivilgesellschaft, liegt eine riesige, wenn nicht eine historische Chance für emanzipatorische Politik: Eine progressive gesellschaftliche Dynamik könnte nicht nur die überkommene Flüchtlingspolitik korrigieren. Sie könnte zu einem gesellschaftlichen Aufbruch führen.
Es ist an der Zeit für ein humanes Flüchtlingsrecht, für ein „Ende des Sterben-lassens“, für eine Politik, die unsere imperiale Lebensweise endlich hinterfragt und Schluss macht mit dem Wohlstandschauvinismus unserer reichen Länder. Eine solche politische Initiative könnte sich berufen auf reale Dynamiken: auf gesellschaftliche Mehrheiten, die nicht immer nur „die Mehrheit“ sein müssen, sie könnte sich stützen auf das Handeln der Vielen.
Stattdessen bremsen die Parteien und politischen Akteur_innen diese gesellschaftliche Dynamik aus: mit einem sogenannten Asylkompromiss, der die richtige und notwendige Unterstützung der Länder und Kommunen erkauft mit Restriktionen und Asylrechtsverschärfungen, die keine Flüchtlinge davon abhalten werden, nach Europa zu kommen, sondern nur die Grußadresse an das rechte und dumpf-braune Lager sind. Warum? Warum nicht einfach dem mutigen und emanzipatorischen Teil der Bevölkerung folgen? Der „Asylkompromiss“ ist ein Schlag ins Gesicht für all die solidarischen Menschen, für die lokalen Initiativen und die Fluchthelfer_innen.
Die Parteien des linken Spektrums sind auf dem Weg, an diesem wichtigen Punkt der europäischen Geschichte aus vermeintlich „machtstrategischen“ Gründen zu versagen:
Aus Angst vor der vermeintlichen Mehrheit missachten sie die großen, aktiven und wachsenden Milieus, die für politischen Fortschritt einstehen, und beteiligen sich damit indirekt an der Reproduktion und an der Rechtsverschiebung der politischen Situation. Diese Politik hat jeden Mut verloren, etwas Neues zu beginnen und in schweren Zeiten Haltung zu bewahren. SPD und Grüne tun dies in Teilen aus dem Betreiben ihrer Führungsebenen und gegen den Willen ihrer Basis. Diese politische Figur ist nicht neu: Wurden im Juli noch die griechische Bevölkerung und die linke Regierung in die Schranken gewiesen, so wird jetzt dem „Refugees welcome“ die ordnungspolitische Grenze gezeigt.
Wir fordern alle progressiven Kräfte auf, nicht die Alternativlosigkeit, nicht die Machtpolitik über das Leiden der Menschen zu stellen und gegen den Wunsch nach Veränderung siegen zu lassen. Man wird diesen Wunsch auf Dauer nicht im Keim ersticken können. Er ist eine reale Sache, er kommt aus den Widersprüchen in dieser Welt. Er wird sich aber von denjenigen verabschieden, die ihn nur für ihre eigene opportunistische Politik missbrauchen.
Das Institut Solidarische Moderne ist solidarisch mit allen, die
- diesen „Asylkompromiss“ ablehnen,
- Flüchtende unterstützen,
- allen Abgeordneten und Landesregierungen, die in Bundesrat und Bundestag gegen die Verschärfung des Asylrechts stimmen,
- allen, die sich in ihren Parteien, Verbänden und im Alltag für eine andere Flüchtlingspolitik einsetzen und – wenn nötig – auch ihren Vorständen und Vorsitzenden die Gefolgschaft verweigern,
- sich durch Machtstrategien nicht von ihrem politischen Wunsch nach Veränderung abbringen lassen.
Das ISM soll einer der Orte sein, an dem diese Menschen sich verständigen und sammeln können.
Der Vorstand des ISM, Oktober 2015
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