Mosaik-Linke ist ein Vorteil

Interview mit Matthias Höhn zum Bundesparteitag der LINKEN in Dresden

15.06.2013 / Neues Deutschland vom 15.06.2013

nd: Das Wahlprogramm soll Antworten auf Fragen der Wähler geben. Welche Fragen sind es, die Sie beantworten wollen?

Höhn: Eine der großen Fragen ist, wie wir mit der wachsenden Ungleichheit zwischen arm und reich umgehen, eine zweite wie wir verhindern, dass Leute trotz Arbeit oder in der Rente in Armut rutschen. Wir wollen ein Angebot machen für eine sozialverträgliche Energiewende. Und wir wollen Schluss damit machen, dass wichtige gesellschaftliche Entscheidungen in Hinterzimmern von Lobbyisten getroffen werden.

96 Seiten ist das Wahlprogramm lang. Sollen vielleicht alle Fragen möglichst aller Wähler beantwortet werden?
Das Programm richtet sich in der Tat an alle Wählerinnen und Wähler. Wir wollen so viele wie möglich gewinnen, ihre Stimme für uns am 22. September abzugeben. Wir sind in einigen Teilen des Landes Volkspartei, da können wir kein Angebot nur an eine Wählergruppe machen. Es geht uns auch um all jene, die sich von Politik abgewandt haben, gar nicht mehr zu Wahlen gehen, weil sie sich davon nichts mehr erhoffen.


Konsistente Antworten setzen konsistente Anschauungen voraus. Sind 1000 Änderungsanträge eher ein Zeichen für die Differenzen in der Partei?
Sie zeigen, dass die Mitglieder ein großes Interesse daran haben, an diesem Wahlprogramm mitzuschreiben. Darüber bin ich froh, auch wenn das für den Parteitag mit viel Arbeit verbunden ist.

Spiegelt sich in den Anträgen nicht der ewige Streit um die Konsequenz wider, mit der die Partei bestehende Verhältnisse infrage stellen soll? Also letztlich der Streit um Mitregieren oder Fundamentalopposition?
Wenn man das Verständnis einer Mosaik-Linken leben will, dann muss man die unterschiedlichen Herkünfte, Schwerpunkte und Parteiverständnisse zusammenführen. Diese Vielfalt ist auch ein großer Vorteil, wenn wir lernen damit produktiv umzugehen.

Das klingt nach großer Versöhnung. Ist mit dem Parteitag der Konsolidierungsprozess beendet, den der neue Vorstand zu bewältigen hatte?
Dass dieser Prozess schon beendet ist, das glaube ich nicht. Aber wer objektiv auf die Partei schaut, kann erkennen, dass wir einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht haben seit dem Parteitag vor einem Jahr in Göttingen.

Sie haben vor einigen Tagen gesagt, korrigiert worden sei, was auf dem Parteitag oder vor dem Parteitag in Göttingen falsch lief. Was ist denn korrigiert worden?
Die Art und Weise, wie wir unsere politischen Differenzen austragen. Wie wir an diesem Programm arbeiten, wie wir auch mit unseren unterschiedlichen Positionen umgehen. Es ist bei der übergroßen Mehrheit in der Partei die Erkenntnis eingekehrt, dass wir uns auf die Sache konzentrieren müssen. Eben um das Angebot nach außen deutlich zu machen und uns nicht an den Auseinandersetzungen innen zu zerlegen.

Ist das Wahlprogramm ein Angebot auch an SPD und Grüne, mit Blick auf die Zeit nach dem Wahltermin am 22. September?
Wir machen zunächst mal ein Angebot an Wählerinnen und Wähler, nicht an andere Parteien. Wir werben für die Inhalte, die wir dort anbieten. Wenn andere Parteien nach dem 22. September mit uns gemeinsam wirklich einen echten Politikwechsel gestalten wollen, dann wissen sie, wo sie uns finden.

Die Partei ist in einer letzten Umfrage auf neun Prozent geklettert. Sind die Tagesform der Partei oder vielleicht die Schwäche der Konkurrenz wichtiger als Wahlprogramme?
Ohne gute Tagesform bestehen wir auch den 22. September nicht, das stimmt. Insgesamt haben wir uns stabilisiert. Aber die Wahl ist auch noch nicht erfolgreich bestanden, die letzten 100 Tage werden ein langer Weg, den die Partei zusammen durchstehen muss. Nur auf die Fehler der anderen zu hoffen wäre falsch.

Die Grünen haben gerade einen Sturm der Empörung zu ertragen wegen der Steuerpläne in ihrem Wahlprogramm. Ist die LINKE auf Ähnliches nach dem Parteitag in Dresden eingerichtet?
Für die Grünen wäre es neu, mit Steuererhöhungen für Vermögende eine reale Umverteilung anzupeilen. Und ich habe noch erhebliche Zweifel, dass sie das auch ernst meinen. Die Mitglieder haben es in der Urabstimmung ja gerade wieder beiseite geschoben. Die LINKE sagt schon immer, dass für mehr Gerechtigkeit die Vermögen und Reichen stärker belastet und die Mitte und sozial Schwache entlastet werden müssen. Wir haben mit diesem Politikansatz schon hervorragende Wahlergebnisse erzielt.

Als der Entwurf des Leitantrages vorgestellt wurde, hieß es, die Partei wolle Wohlhabende enteignen. Müssen Reiche die Enteignung befürchten? Sollten sie gar?
Eigentum verpflichtet, so wie es auch im Grundgesetz steht. Das obere Drittel unserer Gesellschaft leistet im Moment nicht, was es beispielsweise zur Finanzierung von öffentlicher Daseinsvorsorge leisten kann. Das muss sich ändern.

Wie wichtig sind dabei die Details für die LINKE? Im Wahlprogramm werden 1050 Euro Mindestrente und zugleich zehn Euro Mindestlohn gefordert. Fachleute sagen, dass zehn Euro Mindestlohn nicht ausreichen, um auf dieses Rentenniveau zu kommen.
Es ist wichtig für uns, dass zehn Euro der Einstieg sind, den wir schaffen wollen. Wir müssen dafür sorgen, dass Leute mit Arbeit nicht aufstocken müssen – am Monatsende nicht und auch nicht im Alter. Im Entwurf steht deshalb, dass es mittelfristig gesehen bei diesen zehn Euro nicht bleiben kann. Gleichzeitig müssen die Verschlechterungen in der Rentenformel zurückgenommen werden.

Welche Rolle wird der Ausstieg aus dem Euro hier in Dresden spielen?
Die Währungsfrage ist nicht die zentrale Frage für uns. Die LINKE hat nicht das Ziel, aus dem Euro auszusteigen. Punkt. Wie wir ein soziales und demokratisches Europa gestalten wollen, das ist entscheidend und der gravierende Konflikt mit den anderen Parteien. Die Bundesregierung setzt mit ihrer Politik allerdings den Zusammenhalt in Europa und auch den Euro aufs Spiel.

Ist das nicht ein Formelkompromiss, der verdeckt, dass es hierüber keine Einigkeit gibt?
Nein, wir klammern keine Frage aus auf dem Parteitag. Was die Mitglieder diskutieren wollen, zeigt sich in den Änderungsanträgen und wird auch diskutiert.

Einige Mitglieder sahen den Osten im Entwurf zunächst unterbelichtet. Welche Rolle spielt das Thema im Wahlprogramm?
Wir brauchen ein neues Solidarversprechen für strukturschwache Regionen in Ost und West, dazu gehört auch ein Solidarpakt III. Unsere Partei hat dank ihrer Erfahrungen Kompetenzen einzubringen im Umgang mit Strukturschwäche und Systembrüchen. Wir sind im Osten Volkspartei und das wollen wir auch bleiben. Aber deswegen machen wir keinen Ost- und keinen Westwahlkampf in getrennten Gebieten.

Ist das ein Tribut an die Westverbände, für die der Osten keine besondere Rolle spielt?
Nein, wir zahlen damit niemandem Tribut, der Osten ist und bleibt für uns sehr wichtig, aber wir sind eine gesamtdeutsche Partei.