Griechenland – Überlegungen zum Abstimmungsverhalten im deutschen Bundestag am 17.07.2015
Von Axel Troost
Es steht völlig außer Frage: die Zustimmung Griechenlands zum ESM-Programm ist nicht aus freien Stücken erfolgt, das Land stand und steht mit dem Rücken zur Wand. Die Alternative, die offene Drohung zumindest von Wolfgang Schäuble, so heißt es aus dem Büro von Ministerpräsident Tsipras, hätte das Land indes in eine „unvorhersehbare humanitäre Katastrophe“ geführt, die weit schärfer ausgefallen wäre, als die gegenwärtige Krise.
Und selbstverständlich, vieles hätte anders gemacht werden können, anders gemacht werden müssen. Der IWF weist zu Recht darauf hin, dass sich die griechischen Schulden unter dem vereinbarten Programm bis 2018 von derzeit gut 170% des Bruttoinlandsprodukts auf knapp 200% erhöhen dürften. Dass mit dem Paket auch nichts gegen die schonungslose deutsche Exportpolitik getan wurde, ist ebenso klar wie der Umstand, dass Griechenland einen Großteil seiner gesetzgeberischen Souveränität abgeben muss.
Die Griechenland abgetrotzten Maßnahmen sind ein brutaler Eingriff, ein Erpressungserfolg unsäglicher Arroganz und in weiten Teilen wirtschaftspolitisch hochgradig schwachsinnig.
… die griechische Sicht
Es lohnt sich dennoch ein Blick in die Details, um nachzuvollziehen, warum die griechische Regierung dem Paket zugestimmt hat. Neben dem reinen Umstand zumindest vorerst den Rauswurf aus dem Euro abgewendet zu haben, nennt die griechische Regierung u.a. als Pluspunkte:
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Der Treuhandfonds, den Schäuble in Luxemburg unter deutscher Aufsicht angesiedelt werden sollte, entsteht in Griechenland und unter griechischer Leitung, wenn auch unter Aufsicht der Institutionen.
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Die Erlöse des Fonds (50 Mrd. Euro) sollen auf lange Frist erwirtschaftet werden (in griechischen Medien ist die Rede von 30 bis 35 Jahren).
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Seine Erlöse soll der Fonds ausdrücklich nicht ausschließlich durch Privatisierungen erzielen, sondern auch auf anderen Wegen. Nach dem Verständnis der griechischen Regierung beinhaltet das ausdrücklich, dass öffentliche Unternehmen (etwa die Verwaltung der Altertumsstätten) in diesem Rahmen weiter geführt werden und ihre Gewinne innerhalb des Fonds genutzt werden können.
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Ein Teil der Erlöse des Fonds (nach Abzug unter anderem der Refinanzierungskosten für den Finanzsektor bis zu 12,5 Mrd. Euro) ist für Investitionsprogramme reserviert.
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Erleichterung beim Zugriff auf EU-Fördermittel: Griechenland stehen, wie den meisten andern EU-Ländern, Fördermittel zur Verfügung, die zum Beispiel für Infrastruktur und Bildung eingesetzt werden können. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 sind es in Griechenland etwa 35 Mrd. Euro. Problem dabei ist allerdings, dass diese Fördermittel vom Antragsteller gegenfinanziert werden müssen, die EU übernimmt nicht die komplette Finanzierung von Projekten. Für Griechenland sollen, so die EU-Kommission, deutliche Erleichterungen geschaffen werden. Abschlusszahlungen für Projekte, die Griechenland wegen fehlender Mittel nicht ausfinanzieren konnte, werden freigegeben, bei einzelnen Projekten ist keine Kofinanzierung aus Griechenland erforderlich. Die Kommission geht von einer unmittelbaren Entlastung des griechischen Haushalts um 2 bis 2,5 Mrd. Euro aus, die – so heißt es ausdrücklich von der Kommission – unmittelbar wieder investiert werden können, also nicht für den Schuldendienst genutzt werden müssen. Dazu kommt eine höhere europäische Vorfinanzierung im Volumen von etwa 1 Mrd. Euro. Diese reinen Zahlen sind nicht besonders beeindruckend, wenn es aber damit gelingt das Fördervolumen auszuschöpfen (2014 bis 2020: 35 Mrd. Euro), kann damit ein wertvoller Beitrag geleistet werden, die griechische Wirtschaft wieder auf Tritt zu bringen.
Bei aller heftigen, berechtigten Kritik am Verhandlungsprozess und -ergebnis: das griechische Parlament und die große Mehrheit der ParlamentarierInnen von Syriza haben – erpresst und mit der Pistole auf der Brust – für die Annahme der Auflagen gestimmt. Bei ihnen überwiegt der Eindruck, dass ein (griechisches) JA mit der Annahme der erpressten „Reformen“ immer noch besser ist als ein Austritt aus dem Euro.
… und die Abstimmung im deutschen Bundestag
Die Verhandlungen und das Ergebnis zwischen der griechischen Linksregierung und den Gläubigern der Euro-Gruppe zeigten überdeutlich das vollständige Fehlen demokratischer Skrupel unter den angeblichen Verteidigern der europäischen Demokratie. Es wurde weder das Referendum der griechischen Wahlbevölkerung noch in Ansätzen die Willensbildung des Parlaments oder die griechische Souveränität respektiert. Zurecht wird der deutsche Finanzminister Schäuble als Chefstratege des Neoliberalismus ausgemacht: „Ich diskutiere das Programm nicht – es wurde von der vorhergehenden Regierung akzeptiert, und wir können es unmöglich erlauben, dass Wahlen irgendetwas ändern. Denn wir haben die ganze Zeit Wahlen, es gibt 19 von uns, wenn immer bei einer Wahl sich etwas ändern würde, dann würden die Verträge zwischen uns nichts bedeuten.“ Am Ende ging es um folgende Alternative: „Unterschreiben Sie also entweder auf der gepunkteten Linie oder Sie sind raus.“ Die Botschaft von Schäuble war stets eindeutig: „Das ist ein Pferd, entweder Sie steigen auf oder es ist tot.“
Die weitgehende Missachtung der demokratischen Kultur zeigt sich auch in der Rückkehr der Institutionen (Troika) in das Innere des griechischen Verwaltungs- und Staatsapparates. Griechenland ist für den Zeitraum des dritten Hilfsprogramms auf den Status eines Protektorats zurückgestuft. In der Erklärung des Eurogipfel heißt es: „Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird. ... Die griechische Regierung wird mit Ausnahme des Gesetzes über die humanitäre Krise die Rechtsvorschriften überprüfen, um die Rechtsvorschriften zu ändern, die im Widerspruch zu der Vereinbarung vom 20. Februar eingeführt wurden und Rückschritte gegenüber früheren Programmauflagen darstellen.“
Nach langer heutiger Diskussion in der Bundestagsfraktion der LINKEN und im Interesse eines möglichst einheitlichen Abstimmungsverhaltens aller (deutschen) LINKEN ParlamentarierInnen gewichte ich inzwischen die Wut über die gnadenlose Erpressungspolitik seitens der Gläubiger und die Enttäuschungen über die nahezu aussichtslose Situation der griechischen Linkspartei und Regierung höher als die mit den Verhandlungsergebnissen auch erzielten Chancen.[1]
Ich werde daher morgen mit nahezu der gesamten Linksfraktion der deutschen Bundesregierung und der großen Koalition mit einem verachtenden NEIN entgegenzutreten.