Der Genosse Trend und der Rechtspopulismus

Von Axel Troost

11.04.2016 / 11.04.2016

Mit den Ergebnissen der drei Landtagswahlen hat sich die rechtspopulistische AfD einen Platz in der politischen Arena gesichert. Auch die neuesten Wahlumfragen bestätigen die These: in Deutschland hat sich mit einem rechtspopulistischen das politischen Terrain verändert. Deutschland war auf der Landkarte des europäischen Rechtspopulismus jahrzehntelang ein weißer Fleck. In ganz Europa errangen die modernen Rechtsparteien im Durchschnitt fast ein Fünftel der Stimmen. In etlichen Nachbarländern bestimmen sie die Regierungsgeschäfte mit. Die Parteien sind nur das Symptom eines zugrunde liegenden Problems, wonach etwa 70 Prozent der Bevölkerung mit dem Establishment oder den Eliten unzufrieden sind. Jetzt ist auch bei uns die trügerische Gemütlichkeit einer Konsensdemokratie dahin. Passend zur vorherrschenden gesellschaftlichen Stimmung von Zukunftsangst, Missmut und Unlust ist eine zunehmende Zahl von WählerInnen bereit, Rechtspopulisten eine Chance zu geben.

Weitere politische Folgen zeichnen sich ab. Nach den Wahlen in den drei Bundesländern mit zweistelligen Ergebnissen für die AfD funktioniert die klassische Konstellation einer Zweier-Koalition für die Regierungsbildung nicht mehr. Die etablierten Regierungsparteien (CDU/CSU und SPD) verlieren an Zuspruch. Die aktuelle Umfrage des „ARD-Deutschlandtrend“ bestätigt dies: die SPD fällt mit 21 Prozent auf den tiefsten je gemessenen Wert. Auch die Zufriedenheit der Bürger mit der Arbeit des Spitzenpersonals der SPD ist deutlich gesunken – das gilt insbesondere für Vizekanzler Sigmar Gabriel. Auch die christliche Union verliert deutlich an Zustimmung. Nur noch 34 Prozent der WählerInnen würden ihre Stimme der CDU/CSU geben. Dagegen erreicht die AfD mit 14 Prozent einen neuen Höchstwert. Neben der AfD sind die Grünen zweiter Gewinner, die sich um drei Punkte auf 13 Prozent der Stimmen verbessern.

Im bürgerlichen Lager wächst die Akzeptanz für eine schwarz-grüne Zusammenarbeit: 40 Prozent der Wahlbevölkerung sind der Meinung, dass Schwarz-Grün Deutschland in wichtigen Fragen nach vorne bringen könnte (31 Prozent im Dezember 2010). Für die SPD zeigt dieser Trend, dass die Krise der europäischen Sozialdemokratie sich auch bei uns eingenistet hat. Die Sozialdemokraten verlieren langsam den Status als Volkspartei.

Fast 10 Jahre nach der großen Finanz- und Wirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts ist unbestreitbar: die Stunde der Krise ist nicht der Beginn eines erneuten Siegeszuges der politischen Linken. Der sozialdemokratische Rettungsanker mutiert mehr und mehr zum Strohhalm: die sozio-ökonomische Entwicklung, der Genosse Trend, soll dafür sorgen, dass die Hoffnung auf sozialen Aufstieg wieder stärker wächst als die Angst vor dem Abstieg. All das werde nur gelingen so die SPD-Linke, „wenn wir jetzt zu Investitionen bereit sind, die für den Erhalt unserer Wirtschaftskraft und für ein selbstbestimmtes Leben in sozialer Sicherheit unabdingbar sind. Jetzt brauchen wir ein Integrationspaket. Das müssen wir notfalls auch gegen den Bundesfinanzminister durchsetzen.“

Und die wirkliche Linke? Der selbsterklärte Turbomotor des linken Spektrums verliert deutlich an Wirkung. Auch die LINKE muss sich in den aktuellen Umfragen mit einer geringeren Akzeptanz des Wahlvolkes zufrieden geben, sie liegt derzeit bei nur noch sieben Prozent. Ich plädiere dafür, diese Zahlen nicht einfach als kurzfristige Stimmungsbilder abzutun. Gleichzeitig sollten wir uns dafür hüten für die offenkundige Schwäche unserer Partei in der Außenwahrnehmung persönliche Schuldzuweisungen vorzunehmen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die LINKE mit ihrer bisherigen sozial-ökonomischen Rhetorik und Programmatik nicht ansatzweise zu dem Großteil der verunsicherten sozialen Schichten durchgedrungen ist. Wir brauchen eine intensive Beschäftigung mit der anhaltenden Wirtschafts- und Gesellschaftskrise, eine Generalinventur unserer Reform-Konzeptionen. Es ist ja nicht so, dass es dazu in unserer Partei keine Positionen und Vorschläge gäbe.

Immer mehr setzt sich die These durch: der sozio-ökonomische Trend sorgt nicht im Selbstlauf für eine fühlbare Entspannung und damit eine Rückkehr zu den gewohnten politischen Verhältnissen. Die Eurozone verharrt auch Jahre nach der Großen Krise in einer Stagnation, aus der sie sich nur durch viel entschiedeneres eigenes Handeln heraus ziehen kann. Der mögliche Ausweg einer Ausweitung zunächst der öffentlichen Investitionen wird durch den neoliberalen Fiskalpakt blockiert. Allein die EZB stemmt sich durch eine Politik der billigen Kredite gegen diese Entwicklung. Sie setzt seit geraumer Zeit auf die bekannte Option: Lockerung ihrer Geldpolitik, und zwar nach dem altbekannten Motto „ein bisschen mehr von allem“. Verordnet werden dem Euro-Raum also noch mehr Liquidität, noch höhere Strafzinsen und noch umfangreichere Anleihekäufe. Auch ich habe immer wieder betont: die Maßnahmen der europäischen Zentralbank waren sinnvoll, aber die expansive Geldpolitik ist kein Allheilmittel.

Erneut nehmen die Warnungen zu: In Europa drohe eine neue Finanzkrise. In der Tat sind die wirtschaftlichen Aussichten für die Euro-Zone und die Bundesrepublik nicht positiv. Die EZB rechnet gemäß ihren jüngsten Prognosen mit einer Fortsetzung der wirtschaftlichen Erholung im Euro-Raum, aber im geringeren Maß als sie bei der letzten Projektion erwartet hatte. Zudem wird die soziale Spaltung weiter zu nehmen. Schon jetzt haben die unteren 40 Prozent der Lohnbezieher heute real weniger Einkommen als vor 20 Jahren. Und das, obwohl die Wirtschaftsleistung seitdem um 30 Prozent zulegte. Aber die Zuwächse kamen nur noch bei den Kapitalbesitzern an.

Diese Erkenntnis ist nicht neu. Fachleute der OECD und des Internationalen Währungsfonds (IWF) warnen seit Langem vor der wachsenden sozialen Spaltung. Neu ist dagegen, dass dies nun einer der führenden deutschen Ökonomen zum Thema macht, was doch eigentlich längst im Zentrum der Politik hätte stehen müssen. DIW-Chef Marcel Fratzscher fasst zusammen: „In keinem anderen Land der Euro-Zone besitzen die oberen zehn Prozent so viel und fast 40 Prozent der Bevölkerung so wenig, nämlich nichts. Am gravierendsten aber ist die geringe Chancengleichheit. Die Möglichkeit für Menschen aus sozial schwachen Gruppen aufzusteigen ist in wenigen Industrieländern so gering wie hierzulande.“ Denn die zunehmende Ungleichverteilung schadet nicht nur der wirtschaftlichen Entwicklung. Sie ist zugleich auch der Nährboden für den Aufstieg der Rechtspopulisten. Während eine kleine Minderheit über ihren Kapitalbesitz immer größere Macht anhäuft, breitet sich in der übrigen Gesellschaft die Angst vor dem Abstieg aus.

Die LINKE sollte offensiv für ein weiterreichendes Investitions-und Infrastrukturprogramm werben. Die Mittel dafür sind vorhanden.[1] Wir brauchen etliche Milliarden Euro zur Finanzierung der dringend benötigten Investitionen im sozialen Wohnungsbau, in der Bildung, in die Sicherheit und Stärkung des öffentlichen Dienstes, für öffentliche Beschäftigung, für Integration sowie zur Bekämpfung von Fluchtursachen.

Zukunftsfähige Infrastruktur und nachhaltige Wirtschaftsstruktur kommen auch den nächsten Generationen zugute. Deshalb ist es gerecht, wenn die Tilgung der Investitionskosten über den gesamten Nutzungs-Zeitraum gestreckt wird. Hingegen wäre es fahrlässig, einer neuen Generation eine verfallene Infrastruktur und dadurch prekären Wirtschaftsstandort zu hinterlassen. Das Dogma der „schwarzen Null“ ist eine neoliberale Sackgasse und bleibt das Gegenteil einer solidarischen, zukunftsfähigen und ökonomisch wohlbegründeten LINKEN Politik.

DIE LINKE könnte überzeugend darlegen, dass es um das Ende der Austeritätspolitik geht. Es braucht ein hoch aktives politisches Eingreifen, um massiv umzuverteilen, nicht nur um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, sondern auch um neue Mittel zu mobilisieren für sinnvolle Investitionen und Arbeitsplatzschaffung, bessere Löhne, öffentliche Politik, Sicherung der Sozialsysteme, Abbau der spaltenden (und Migration bzw. auch kriegerische Konflikte hervorbringenden) Asymmetrien in Europa und im Mittelmeerraum sowie Kooperation vorrangig mit den unterschiedlichen Regionen Afrikas.

Ausgangspunkt für ein solches Investitions- und Ausgabenprogramm sind ungedeckte gesellschaftliche Bedarfe. Diese konzentrieren sich auf: das berechtigte Anliegen nach mehr und qualitativ besserer Bildung, nach einem geringeren Energie- und Ressourcenverbrauch, nach einer besseren Ausstattung der Daseinsvorsorge und generell nach einer besseren Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen. Gleichzeitig zielt dieses Programm darauf, die Beschäftigung und die Masseneinkommen zu steigern. Es geht um den Abbau von Arbeitslosigkeit und zugleich um die Verbesserung der materiellen Lebenslage großer Teile der Bevölkerung.

Unsere Antwort auf den rechten Protest: endlich deutliche Beseitigung der massiven Defizite vor allem im öffentlichen Raum und Überwindung der sozialen Spaltung. Der Kampf gegen die politisch Mächtigen schweißt die moderne Rechte zusammen: Sie kämpfen gegen den Islam und die Globalisierung, gegen Lügenpresse und Genderpolitik. Hauptfeind sind für sie die Europäische Union und die politischen Eliten, die das Volk verraten. Die Korruptheit und Selbstbezogenheit vieler politischer Akteure verbindet sich mit der Enttäuschung über nicht eingehaltene ideologische Zielsetzungen und Gerechtigkeitsversprechen erst des Staates, dann des Marktes. Menschen wählen nicht populistische Parteien, weil sie zufrieden sind. Sie sind unzufrieden damit, wie Dinge laufen. Das hat damit zu tun, dass sie sich politisch nicht mehr vertreten fühlen, dass die etablierten Parteien sie nicht repräsentieren. Die Ängste der Menschen ernst nehmen, heißt für mich: die Linkspartei kann verdeutlichen, dass es für die Gerechtigkeitsversprechen eine realisierbare Lösung gibt.

Die modernen rechten Bewegungen werden zurückgedrängt, wenn wir verdeutlichen, dass es eine lebenswerte Zukunft gibt und die Verfestigung der sozialen Spaltung keine wünschbare Alternative ist. Ich setze mich dafür ein, dass die Konkretisierung einer Investitions- und Integrationskonzeption innerhalb der Partei vorangetrieben wird und damit dann den so dringend notwendigen Dialog mit vielen gesellschaftlichen Kräften ausgebaut werden kann. Ich werbe dafür, dass wir mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und anderen politischen Kräften im Land eine gemeinsame Idee einer Zukunft entwickeln. Jede Verengung auf einzelne Aspekte wird einer notwendigen Gesamtkonzeption gegen den Rechtspopulismus nicht gerecht.

[1] Das Statistische Bundesamt hat bekannt gegeben, dass die öffentlichen Kassen ihren Überschuss dank sprudelnder Einnahmen im vergangenen Jahr mehr als verdreifacht haben. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung hätten 29,5 Milliarden Euro mehr eingenommen als ausgegeben – das sei der bisher höchste Finanzierungsüberschuss.

_______________

Die aktuelle Kolumne von Axel Troost finden Sie nachfolgend auch als PDF zum download. Weiter Kolumnen finden Sie auf www.die-linke.de: "Axel Troost: Die Kolumne"